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Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Kontrahenten
nichts bemerkt. Ich stieg mit gemischten Gefühlen aus, entrollte
zögernd meine weiße Flagge.
Jeder von uns sollte eine solche schwenken. Potesti, einige
Schritte voraus, ging forsch auf den fernen Komplex zu. Er
schwenkte die Fahne nicht, sondern hielt sie kraftvoll wie eine
Standarte in der vorgereckten Faust.
Dicht hinter ihm schritt Manuel, ein dünner, schweigsamer
Mensch, der etwas von Psychologie verstehen sollte.
Seitlich, aber fünf, sechs Meter hinter den beiden, marschierte
Jes, ein Zentralafrikaner, der eigentlich immer zu einem Scherz
aufgelegt war, nun aber verschlossen mit gesenktem Blick folgte
und die Fahne mechanisch hin und her bewegte. Er steuerte das
Flugzeug, und er war mir deshalb im Augenblick der wichtigste
Mann.
Ich hielt mich noch weiter zurück und bewahrte einen
seitlichen Abstand von mehreren Metern zu den Gefährten. Die
Fahne hielt ich unter den Arm geklemmt. Das Schwenken schon
jetzt in vielleicht anderthalb Kilometer Entfernung erschien mir
lächerlich.
Wir gingen schweigend, und ich muss gestehen, dass mich
innerlich die Angst wieder einmal förmlich schüttelte.
Obwohl eine kühle Brise über die Ebene fuhr, hatte Jes
Schweißperlen auf der Stirn.
In großen Bögen bewegte Manuel die Fahne.
Potesti hatte eine Art starre Maske aufgesetzt, die keine Regung
verriet, soweit ich das aus meiner Position ausmachen konnte.
Nur diese merkwürdige Art, die Fahne zu halten, ließ den
Schluss zu, dass ihm die Mission innerlich ebenfalls zu schaffen
machte.
So eben, wie die Luftaufnahmen glauben machten, bot sich die
Fläche nicht dar. Es gab durch hohes Gras überwucherte flache
Gräben, metergroße Erdbatzen und hier und da niedrige
überwachsene Wälle, möglicherweise Aushubmassen, die im
Laufe von Jahren durch Regen und Sturm ihre jetzige Gestalt
angenommen hatten, ein ehemaliger Kahlschlag oder Windbruch.
Ich achtete weniger auf den Untergrund, kam deshalb des
öfteren ins Stolpern. Es schien mir wichtiger, mit höchster
Aufmerksamkeit vorauszuschauen. Wenn Gefahr
drohte,
wollte ich sie wenigstens rechtzeitig erkennen.
Wir hatten noch kein Drittel der Wegstrecke zurückgelegt, als
ich glaubte, einen Blitz erkannt zu haben, der von einem der
Schiffe ausging. Ich schrie: „Deckung!“ und warf mich flach in
das Gras.
Es geschah nichts.
Als ich aufsah, gewahrte ich, dass die Kameraden meinem
Beispiel gefolgt waren und reglos, die Gesichter nach unten, am
Boden lagen. Ich schaute mich vorsichtig um. Einen Augenblick
war mir, als verzögen sich kleine Wölkchen über mir wie in
einer Schliere schlechten Fensterglases. Ein wenig hinter uns
brach eine Lerche ihr Jubilieren ab und ließ sich fallen.
„Idiot!“, knirschte Potesti. Er rappelte sich auf, klopfte sich
Grashalme ab, nahm die Fahne diesmal leger auf und schritt,
ohne sich um uns zu kümmern, weiter.
Wir folgten – ich doch ein wenig beschämt – seinem Beispiel.
Aber meine Aufmerksamkeit ließ nicht nach. Und ich war mir
längst nicht sicher, ob ich mich tatsächlich getäuscht hatte.
Freilich, Lerchen lassen sich fallen. Aber sie
würden auch
stürzen, wenn man sie in der Luft tötete.
Und da war er abermals, der Blitz. Ich rief nicht, packte Jes am
Oberarm und riss ihn zu Boden. Ich hörte ein unwilliges „Was
ist?“
Das Gesicht hatte ich diesmal oben behalten. So sah ich, wie
sich Potesti und gleich darauf Manuel krümmten, die Fahnen
fallen ließen, die Hände wie im Krampf über den Leib schlugen
und röchelnd zusammenbrachen. Über die Ebene aber schoss
fingrig und faserig wie ein Nordlicht ein Schlierenfächer, der für
einen Augenblick die Umgebung aufflirren ließ, sich wie ein
Spuk verlor.
Jes lag flach im Gras. Als er sich aufzurichten trachtete, drückte
ich ihn mit sanfter Gewalt zurück. „Bleib“, raunte ich. „Rühr
dich nicht!“, setzte ich hinzu, und ich kroch, mich so dicht wie
möglich an den Boden schmiegend, zu Manuel. Ich wusste, dass
er tot sein würde, aber ich hielt es für meine Pflicht, mich davon
zu überzeugen.
Er lag halb auf der Seite mit aufgerissenen Augen, mehr
Staunen als Schmerz im Gesicht, die Knie hatte er angezogen,
und die Hände pressten in der Starre den Leib.
Ich ersparte mir, zu Potesti zu kriechen, sondern begab mich
zurück zu Jes, der mein Beginnen mit zur Seite gedrehtem Kopf
verständnislos verfolgte, ohne die Zusammenhänge zu begreifen.
„Sie sind tot“, sagte ich, und es kann sein, dass es lakonisch
klang, denn es hatte den

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