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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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nur ein Mann, der seine Familie ernähren will. Die letzten Jahre waren hart, die Ausbildung der Kinder kostet ein Vermögen. Das Zeitalter der Globalisierung hat seine eigenen Gesetze, der Gott des Kapitalismus versteht genauso wenig Spaß wie seine Verwandten aus vergangenen Epochen. Wer pünktlich zahlt, wird beliefert.
    Anmerkungen zu Opfer 1: Annemarie S. evtl. durch ein Opfer ersetzen, das mehr Mitgefühl auslöst. Wer trauert schon um eine alte Schachtel mit Nazi-Vergangenheit??? Was immer funktioniert: tote Kinder! Nachteil: Schreibt sich verdammt hart.
    TO DO:
    – Grund finden, warum ein Kind nachts allein im Dunkeln auf der Straße rumläuft.
    – Kapitel neu schreiben?
    – Makoto weiter nach vorn?
    – Mehr Atmo!
    – Evtl. mehr medizinisches Hintergrundwissen rund um Enthauptungen.
    – Alles in die Tonne treten????????????????????
    Hat Tobi recht?
    Kann man aus dem Motiv der apokalyptischen Reiter etwas machen?
    Geht nicht in gewisser Weise jedes Mal die Welt unter, wenn ein Mensch eines gewaltsamen Todes stirbt?

Tod einer Blumenverkäuferin
    N oa ist spät dran. Der Gong zum Unterrichtsbeginn fegt den Flur leer, aber als sie das Klassenzimmer betritt, herrscht noch Unruhe, kaum jemand sitzt an seinem Platz, alle reden durcheinander. Was seltsam ist: Anders als sonst hat keiner den Kopf auf der Tischplatte abgelegt, um zu dösen oder Musik zu hören, dabei ist es erst kurz nach acht. Der Geräuschpegel ist ungewöhnlich hoch für einen stinknormalen Wochentag, an dem nichts Besonderes ansteht. Sogar die Dauerkiffer wirken für ihre Verhältnisse hellwach. Noa befürchtet, ihr könnte ein Klausurtermin durch die Lappen gegangen sein, eine äußerst unangenehme Vorstellung. Momentan ist sie mit dem Lernen in sämtlichen Fächern im Rückstand, die Matheklausur hat sie verhauen. Wenn sie später wirklich zur See fahren will, muss sie ein vernünftiges Abi hinlegen – mit respektablen Noten auch in den Naturwissenschaften.
    »Hey, was geht?«, begrüßt sie Miriam, doch die schenkt ihr kaum Beachtung, so sehr ist sie damit beschäftigt, sich über irgendetwas zu echauffieren. Nicht dass ihr jemand zuhören würde. Sie ist umringt von Freunden, aber jeder jongliert seinen eigenen Redeschwall durch die elektrisch geladene Luft. Noa schnappt nur Fetzen auf: »krass« – »Blut« – »eklig«.
    »Kann mir mal jemand sagen, was los ist?«
    Endlich wendet Miriam sich ihr zu. »Das weißt du nicht? Hörst du keine Nachrichten? Liest du deine Mitteilungen nicht?«
    »Heute noch nicht«, gesteht Noa ein, worauf Daniel ihr sein iPad in die Hände drückt. Ihr Blick fällt auf eine Schlagzeile in Großbuchstaben:
    HINRICHTUNG AUF OFFENER STRASSE:
    RENTNERIN GEKÖPFT
    Noa stockt der Atem, es fällt ihr merkwürdig schwer, sich auf den Beinen zu halten, als wären die Knie mit ihrer Last plötzlich überfordert. Obwohl die Buchstaben vor ihren Augen zu flirren beginnen, kann sie die wichtigsten Eckdaten der Meldung entziffern: Die alte Frau wurde auf der Bahrenfelder Chaussee ermordet. Spätabends. Höchstwahrscheinlich von einem Motorrad aus. Als Tatwaffe kommt nach ersten Einschätzungen der Polizei nur ein Schwert in Frage.
    »Frau Winter. Noa! Jetzt langt es mir aber.«
    Noa blickt auf. Vor ihr steht Frau Schulz-Färber, und das anscheinend schon eine geraume Weile, sonst hätte die Englischlehrerin weder Deutsch gesprochen, noch hätte sie Noa beim Vornamen genannt, denn seit der Oberstufe legt sie Wert auf die Einhaltung gewisser Umgangsformen.
    »Please, pass me this.« Die Lehrerin streckt die Hand aus, entschlossen, das iPad einzukassieren.
    »Na, toll«, sagt Daniel. »Besten Dank, Noa.«
    »Aber es gehört mir nicht.«
    »In English, please«, erwidert Frau Schulz-Färber unbarmherzig. Ihr schlaffer Pferdeschwanz ruht ungewaschen auf ihrer Schulter.
    »It is not mine.«
    »I don’t care. Take a seat. I want to start the lesson immediately.«
    Noa kapituliert. Die Stunde beginnt und Daniel steckt ihr über den Gang hinweg einen Zettel zu, den sie ignoriert. Es tut ihr leid wegen des Geräts, aber sie hat ganz andere Sorgen. Sorgen, die so gewaltig sind, dass sie ihre Auffassungsgabe sprengen. Tagelang hat sie versucht, Audreys Romananfang zu vergessen, weniger wegen des darin geschilderten Mordes – den sie als unnötig grausam empfunden hat – als wegen der Art der Ansprache an die Leserschaft. Diese Vertraulichkeit. Als seien die Ich-Erzählerin und ihre Schwester ein und dieselbe Person, Audrey

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