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Falsche Väter - Kriminalroman

Falsche Väter - Kriminalroman

Titel: Falsche Väter - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann-Josef Schüren
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fuhr gerade ein
beladener Anhänger durch das Tor. Die Frau, der das Pferd gehörte und die
hinter dem Hänger herlief, drehte sich kurz um und winkte verlegen. Moelderings
grüßte müde zurück. Er hatte schon wieder eine Kundin verloren.
    * * *
    Van de Loo reihte sich geduldig hinter dem Bus ein und beobachtete
das Spiel, das sich an jedem Morgen vor Schulbeginn wiederholte. Fahrzeuge von
Eltern, die ihre Kinder selbst zur Schule brachten, blockierten die Straße. Der
Busfahrer hupte wütend, bis der Weg zur Haltestelle frei war. Dann öffneten
sich die Türen, und die Schüler strömten wie schwärmende Bienen auf den Gehweg.
Sie fanden sich zu kleinen Grüppchen zusammen und rannten blindlings über die
Straße. Van de Loo wunderte sich jedes Mal, dass es nicht häufiger zu Unfällen
kam. Als sich der Bus wieder in Bewegung setzte, hielt van de Loo an der
Haltestelle. Anna und Katharina stiegen aus, er wünschte ihnen einen schönen
Tag und fuhr weiter in Richtung Goch.
    Wenn er in der Sache Grossmann weiterkommen und Annas Unschuld
beweisen wollte, musste er mit der Witwe sprechen. In der Regel erfuhr man am
meisten, kurz nachdem die Menschen aus ihrem Alltagstrott herausgerissen worden
waren. Glücksfälle oder Unglücksfälle machten sie weich und nachgiebig. Sie
bedachten dann nicht genau, was sie sagten oder taten.
    Der Motor des Volvos brummte wie ein satter, zufriedener Bär. Van de
Loo liebte dieses Gefährt, wie er seinen alten Hundertneunziger geliebt hatte.
Wenn er fuhr, hatte er jedes Mal das Gefühl, nichts könnte ihm etwas anhaben.
Hinzu kam die Landschaft, die sich nicht aufdrängte und ihn nicht zwang, etwas
Bestimmtes zu denken oder zu fühlen. Alles hier strebte ins Ungefähre, als wenn
es sich nicht entscheiden könnte.
    Die Kirchen hockten wie riesige Hennen inmitten der Dörfer und
beschützten die kükenhaften Häuser. Dadurch wirkten die Dörfer größer, als sie
in Wirklichkeit waren. Und das Land dazwischen war ein Flickenteppich, gewebt
aus Überraschungen. Beim Landeanflug auf den Flughafen Weeze hatte van de Loo
die Gegend einmal von oben gesehen. Die Felder, Wiesen und Dörfer waren ihm wie
eine wahnwitzige Anhäufung von Fußballfeldern vorgekommen. Nicht alle waren
rechteckig, wie es sich gehörte, aber wer sagte denn, dass sich in einem
Dreieck kein Fußball spielen ließ?
    Und schließlich die Menschen, die hier lebten. Verschrobene,
eigenwillige Gestalten, denen man Zeit lassen musste, viel Zeit. Sie kamen nur
langsam aus sich heraus, wie Weinbergschnecken nach dem Frost. Waren sie aber
einmal aufgetaut, kam man gut mit ihnen klar. Van de Loo hoffte, dass das auch
für Frau Grossmann galt.
    Er machte einen kleinen Umweg und fuhr an Theo Grossmanns Landhandel
vorbei. Das Gebäude sah aus, als sei es ehemals eine Molkerei gewesen. Das
Haupttor war geschlossen, fünf Lastwagen mit dem Namenszug des Toten standen in
Reih und Glied. Van de Loo stoppte vor dem Tor. »Wegen Todesfall vorläufig
geschlossen!«, hatte eine ungeübte Hand auf ein Schild gekritzelt.
    Van de Loo fuhr weiter. Als er auf die Gaesdoncker Straße einbog,
die direkt nach Holland führte, holte ihn seine Vergangenheit ein. Er dachte an
das Internat, auf dem er vor vielen Jahren Schüler gewesen war. Es war eine
seltsame Zeit gewesen, ein Dasein ohne Intimität, weil das Leben ausschließlich
von der Gruppe bestimmt wurde. Wenn er damals allein sein wollte, hatte er sich
für Stunden auf dem Klo eingeschlossen. Er hatte sich damit begnügen müssen,
ausschließlich von heranwachsenden Jungen umgeben zu sein – ein Umstand, der
wahrscheinlich sein Verhältnis zu Frauen entscheidend geprägt hatte. Jedenfalls
konnte er sich noch gut an die ersten krampfhaften Bemühungen erinnern, mit dem
anderen Geschlecht Kontakt aufzunehmen. Schwimmbadszenen als Dokumente seiner
Hilflosigkeit. Beschämende Begegnungen vor der Eisdiele in Goch. Es war ihm
vorgekommen, als sei er mit Marsmenschen in Berührung gekommen. Sie waren so
anders, die Mädchen, dass sie ihn zugleich irritiert und fasziniert hatten. Er
hatte sie bestaunt wie exotische Früchte und lange gebraucht, bis er den Mut
gehabt hatte, sie zu probieren. Aber dann war er schnell auf den Geschmack
gekommen.
    Inzwischen hatte sich eine Menge verändert. Das Collegium
Augustinianum Gaesdonck war schon lange kein reines Jungeninternat mehr. Auf
der Webseite hatte van de Loo junge, strahlende Menschen gesehen. Mädchen,
junge Frauen, die vor Selbstbewusstsein zu

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