Falsche Väter - Kriminalroman
dem Schild, das den Reiterweg markierte.
Die Ballen waren knapp dreißig Meter entfernt, aber der Weg war in einem
verheerenden Zustand, denn Pferdehufe hatten die feuchte, mit Kot durchmischte
Erde aufgewühlt. Van de Loo blickte auf seine Schuhe und ärgerte sich, dass er
nicht die Stiefel angezogen hatte, die im Kofferraum lagen. Tapfer ging er
weiter. Die fettigen Dreckklumpen an seinen Füßen wurden mit jedem Schritt
größer und schwerer. Er ging um den Strohhaufen herum, auf die verkrüppelte
Eiche zu. Und dann sah er ihn.
Van de Loo wusste sofort, dass Moelderings tot war. Er lag
bäuchlings im Dreck; dunkle, angefaulte Weizenstoppeln umkränzten seinen
leblosen Körper wie verwelkte Blumen.
Van de Loo bückte sich und prüfte vorsichtshalber den Puls. Nichts.
Dann fiel sein Blick auf Moelderings’ rechten Arm. Er war merkwürdig
angewinkelt, und die Hand war voller Blut. Wahrscheinlich hatte er bei seinem tödlichen
Sturz die Zügel nicht rechtzeitig losgelassen, und das Pferd hatte sie ihm bei
seiner Flucht aus der Hand gerissen.
Van de Loo richtete sich auf und sah, wie ein Wagen mit jaulendem
Martinshorn und Blaulicht in den Reiterweg einbog. Der Motor heulte auf, die
Räder drehten durch, und der Wagen blieb nach wenigen Metern im morastigen
Untergrund stecken. Der Fahrer versuchte noch ein paarmal, seine Kiste aus dem
Dreck zu befreien, indem er sie ins Schaukeln brachte. Aber die Räder gruben
sich nur umso tiefer ein, und er malträtierte wütend das Lenkrad.
Die Polizisten schienen für Augenblicke unschlüssig, wie sie weiter
vorgehen sollten. Endlich stellte der Fahrer das Martinshorn ab und stieg aus.
Seine Schuhe versanken sofort im Dreck. Auch seiner Kollegin blieb nichts
anderes übrig, als durch die schmierige Pampe zu stiefeln. Das Blaulicht drehte
weiter seine Runden und schien stumme Hilferufe gen Himmel zu senden.
»Was machen Sie denn noch hier?«, fragte die Frau, als sie bei van
de Loo angekommen war.
»Ich habe nachgesehen, ob Erste Hilfe geleistet werden muss«, sagte
van de Loo. »Aber der Mann ist tot. Dem kann niemand mehr helfen. Den schäbigen
Rest überlasse ich Ihnen.«
»Warten Sie«, sagte die Beamtin. »Sie können hier nicht einfach
verschwinden.«
»Ich verschwinde nicht«, sagte van de Loo. »Ich wechsle nur den Ort.
Ich bin da drüben, auf ›Gut Moelderings‹. Wenn Sie noch Fragen haben sollten,
ich warte da auf Sie.«
Ohne ein weiteres Wort stapfte er los, an dem festgefahrenen
Polizeiauto vorbei. Am Straßenrand blieb er stehen und kratzte mit einem Stock
den gröbsten Dreck von den Schuhen. Schon wieder hielt neben ihm ein Auto.
»Was ist denn da los?«, fragte der Fahrer.
»Sehen Sie doch«, brummte van de Loo.
Der Mann bugsierte seinen Mercedes an den Straßenrand, stieg aus und
gaffte. Es dauerte nicht lange, bis er Gesellschaft bekam. Der festgefahrene
Polizeiwagen mit dem rotierenden Blaulicht war eine ziemliche Attraktion.
Schließlich hielt noch ein Bauer an, der mit seinem Güllefass unterwegs war.
»Wo habt ihr denn den Führerschein gemacht?«, rief er den
Uniformierten lachend zu. »Fünfzig Euro, und ich ziehe eure Karre aus dem
Dreck!«
Als die Beamten nicht auf sein Angebot eingingen, fuhr er weiter.
Auch van de Loo sah zu, dass er wegkam. Auf dem Hofplatz herrschte heilloses
Durcheinander; die beiden Mädchen, die Moelderings gefunden hatten, konnten
sich kaum beruhigen. Immer wieder versuchten sie zu erzählen, was sie gesehen
hatten, konnten ihre Sätze aber nicht beenden und brachen in Tränen aus. Die anderen
standen um sie herum und versuchten zu trösten. Van de Loo setzte sich auf den
Strohballen, auf dem der Stallknecht gesessen hatte.
»Woröm?«, murmelte er und sah auf seine schmutzigen Schuhe. »Woröm
ni?«
* * *
Als Mareike und Peters zur Hütte kamen, waren sie nicht die einzigen
Besucher. Ein älterer Herr saß auf der Verandabank. Er trug Wanderkluft und
eine Kappe mit der Aufschrift »Michigan«. Der Stock, auf dem er seinen
Oberkörper abstützte, war von oben bis unten mit Plaketten bedeckt. Neben der Bank
standen zwei Nordic-Walking-Stöcke.
»Guten Abend«, sagte er freundlich. »Interessieren Sie sich auch für
die Hütte?«
»Ja«, sagte Peters knapp. Er ging zur Hüttentür und sah, dass das
Siegel aufgebrochen worden war. »Waren Sie das?«, wandte er sich an den alten
Herrn.
»Was denn?«
»Haben Sie das polizeiliche Siegel entfernt?«
»Um Gottes willen«, sagte der Mann. »So etwas würden wir
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