Falsche Väter - Kriminalroman
allen
gern ein paar Fragen stellen. Bleiben Sie also bitte auf dem Hof.«
»Die Mädchen waren mit den Pferden beschäftigt, als es passiert
ist«, sagte die ältere Frau. »Das kann ich bezeugen. Nur der Herr da drüben,
der ist später gekommen. Kurz nachdem Lucky auf den Hofplatz gestürmt ist.«
»Lucky?«, fragte Mareike.
»So heißt das Pferd, mit dem Herr Moelderings unterwegs war. Ist er
wirklich tot?«
»Ja«, sagte Mareike.
»Wie konnte das denn passieren?«
»Das versuchen wir herauszufinden.«
Peters war inzwischen zu van de Loo gegangen, der noch immer auf dem
Strohballen saß.
»Sie schon wieder«, sagte Peters. »Das müssen Sie mir jetzt aber
erklären!«
»Mach ich«, entgegnete van de Loo trocken. »Aber nur, wenn Sie mir
erklären, warum ich ein Knöllchen bekommen habe.«
* * *
Die Nacht warf ihr schwarzes Tuch über Gut Moelderings. Die Wiesen
glitzerten feucht, und über ihnen wölbte sich der dunkle Himmel. Van de Loo
stieg in seinen Volvo. Peters und seine Kollegin hatten ihn lange warten
lassen. Sie hatten darauf bestanden, erst den Stallknecht zu befragen, der wie
vom Erdboden verschluckt schien, bis jemand ihn schlafend in einer Pferdebox
fand.
Van de Loo schaltete die Scheinwerfer an. Sie bohrten einen schmalen
Lichttunnel in die Dunkelheit. Es war Mitte September. Der Sommer ging zu Ende,
und der Mond zeigte sich nicht. Wolken versteckten die Sterne. Der Niederrhein
war ein düsterer, unheimlicher Landstrich.
Van de Loo fuhr durch seine Heimat und hatte gleichzeitig das
Gefühl, anderswo zu sein. Alles kam ihm fremd und unwirklich vor. Das Leben war
ein ferner, schwach glimmernder Stern, der jederzeit verglühen konnte.
Seinen Auftrag konnte er vergessen. Ein anderer hatte ihm die Arbeit
abgenommen. Moelderings würde Winkens nie wieder erpressen können.
Die Ampeln waren ausgeschaltet worden. Jetzt lag die Verantwortung
bei jedem Einzelnen. Jeder musste auf sich selbst aufpassen. Niemand nahm einem
die Verantwortung ab. Nirgendwo konnte man sich sicher fühlen. Man konnte nur
hoffen, dass alles gut ging.
Van de Loo fühlte sich leer und ausgebrannt. Er machte das Radio an
und gleich wieder aus. Die Landschaft rauschte ungesehen an ihm vorbei.
Es war Nacht.
Sie würde vergehen.
Es würde wieder Tag werden.
Wahrscheinlich.
FÜNF
Ein dumpfes, furchtbares Geräusch. Der Wagen bricht kurz
nach links aus. Dann ist er wieder in der Spur. Im Rückspiegel sieht der Fahrer
ein dunkles Bündel auf der Straße. Der Schreck lässt ihn scharf bremsen.
Als Carsten Peters am nächsten Morgen ins Präsidium kam, war ihm
klar, dass ihn das Chaos erwartete. Er hatte in der Nacht noch einen kurzen
Bericht zu den Vorfällen auf dem Reiterhof geschrieben und ihn zur Korrektur an
Mareike geschickt. Dann hatte er wenig und schlecht geschlafen. Anneliese
wartete immer noch auf ihre Maus.
Er ging in den Keller. Auf seinem Schreibtisch lag ein Zettel von
Max Scheler. Wenn Scheler eine seiner knappen, kaum lesbaren Nachrichten
hinterließ, bedeutete das meist nichts Gutes. »Sofort zum Chef!«, las Peters.
Er stieg die Treppen wieder hinauf. Die Türen standen wie gewohnt
offen. In jedem Zimmer herrschte Aufregung, alle hatten Stress, telefonierten
gerade oder schrieben Berichte, die niemand richtig zur Kenntnis nahm. Überall
wurden Mails verschickt, Dateien geöffnet und neue Ordner angelegt. Der Betrieb
lief auf Hochtouren, aber Peters bezweifelte, dass etwas Brauchbares dabei
herauskam. Er war der Ansicht, dass zu viele Köche den Brei verdarben und der
ganze virtuelle Kram zu nichts führte.
Er klopfte kurz und trat ein. Auch der Chef telefonierte. Er hatte
hochrote Ohren, wie stets, wenn er sich aufregte.
»Du hast recht, Carsten«, sagte er, nachdem das Gespräch zu Ende
war.
»Womit?«, fragte Peters.
»Mit deiner Feststellung, dass dieser Fall vielleicht eine Nummer zu
groß für uns ist.«
Peters sah seinen Chef verblüfft an. Er konnte sich nicht erinnern,
so etwas gesagt oder geschrieben zu haben. Aber vielleicht stimmte es dennoch.
»Du glaubst ja nicht, was hier los ist. Düsseldorf hat sich
eingeschaltet. Der Staatssekretär hat gerade angerufen. Die drehen alle
dermaßen am Rad, dass man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht! Die sind
vollkommen hysterisch. Schon wieder ein Mord am Niederrhein! Und dann noch
diese Sauereien, die Verstümmelungen der Leichen. Das schreit doch zum Himmel.
Das passt doch nicht in diese Gegend!«
»Wohin passen schon zwei
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