Falsche Väter - Kriminalroman
war’s?«, fragte sie.
»Die Beerdigung war in Ordnung«, sagte van de Loo. »Ich habe mit
Johannes Winkens gesprochen. Mein Job läuft vorerst weiter. Aber was danach
kam, war ziemlich schwierig.«
»Was war denn?«
»Wir waren bei Annas Mutter. Es geht ihr nicht besonders gut. Sie
ist augenblicklich ohne festen Wohnsitz, und ich habe dafür gesorgt, dass sie
vorerst im ›Nordbahnhof‹ unterkommt. Sie hat mir eine unglaubliche Geschichte
erzählt.«
»Schieß schon los«, sagte Johanna und schüttelte lange den Kopf,
nachdem van de Loo zum Ende gekommen war.
»Das gibt es doch gar nicht«, murmelte sie endlich.
»Doch. Das gibt es. Ich glaube kaum, dass Sonja Lechtenberg sich
diese irre Geschichte aus den Fingern gesaugt hat.«
»Vier Männer, die mit ein und derselben Frau schlafen, um ein Kind
mit ihr zu zeugen, um das sie sich finanziell kümmern wollen? Das hat etwas von
einem Geheimbund. Da wurde ein Pakt geschlossen, ein Vertrag besiegelt. Das
erinnert mich an Kinder, die Blutsbrüderschaft schließen. Eine verschworene
Truppe, die sich dadurch noch enger zusammenschweißt, dass sie die Vaterschaft
bewusst offen lässt. Sie besiegeln ein Bündnis des Schweigens und zahlen dafür.
Alle halten sich an die Abmachung. Das ist wie bei den Freimaurern oder anderen
Geheimbünden.«
»Bis einer den Pakt aufkündigt und das Bündnis zerbricht«, sagte van
de Loo.
»Aber warum haben sie das damals gemacht? Da steckt doch ein Plan
dahinter, eine tragende Idee. Das eigentliche Geheimnis dieser Geschichte
steckt in ihrer Vorgeschichte. Die musst du herausfinden, bevor ein weiterer
Mord geschieht.«
Johanna schlief wenig später ein, wogegen van de Loo noch lange wach
lag. Er dachte an Anna, Sonja und die vier Männer, die sich das »Kleeblatt«
genannt hatten. Sie hatten ein Bündnis geschlossen und jahrelang für Anna
gezahlt. Jetzt waren zwei von ihnen tot. Hatte einer der Überlebenden sie auf
dem Gewissen? Oder war jemand von außen so sehr an der Zerschlagung der
»Viererbande« interessiert, dass er zum Doppelmörder geworden war? Beide
Möglichkeiten verhießen nichts Gutes.
SECHS
Ein Gesicht schiebt sich in den Rückspiegel und versperrt
dem Fahrer die Sicht auf die Straße. »Mensch, gib Gas!«, schreit jemand. »Fahr
schon! Verdammt, du hast gesoffen!«
Der Wecker auf dem Nachttischchen zeigte 1.23 Uhr. Johannes Winkens
konnte nicht schlafen. Er musste immer wieder an das Kleeblatt und seine zwei
toten Freunde denken, ohne dabei um sie zu trauern. Er dachte an sie, als wären
es Bücher, die er einmal gelesen hatte, an deren Inhalt er sich jedoch nicht
mehr genau entsinnen konnte. In seiner Erinnerung tauchten immer wieder die
gleichen Szenen auf, vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen.
Eine Zeit lang hörte er seiner Frau beim Schnarchen zu. Wie immer
hatte sie Schlaftabletten genommen, und manchmal hörte sich ihr Geschnarche wie
leises Rülpsen an. Er stieg aus dem Bett, schlüpfte in die Pantoffeln, zog den
Bademantel an und ging ins Wohnzimmer hinunter. Er trat an die kleine Bar und
sah sich die Flaschen und Karaffen an, die mehr oder weniger als Dekoration
dienten. Sündhaft teure Tropfen, die er irgendwann von irgendwelchen Leuten
bekommen hatte, denen nichts Besseres einfiel, als Alkohol zu verschenken.
Ausnahmsweise wollte er sich einmal benehmen wie ein gelangweilter
amerikanischer Millionär und genehmigte sich einen Whiskey. Als er das Glas an
die Lippen hob und einen Schluck nahm, schüttelte es ihn.
»Scheißzeug«, murmelte er.
Er ließ sich auf die schneeweiße Ledercouch fallen, drehte das Glas
in den Händen und dachte an das, was ihm bevorstand. Die Aussichten waren
glänzend. Seine politische Zukunft war so gut wie gesichert. In wenigen Monaten
wurde gewählt. Dann würde er die Ernte der letzten Jahre einfahren, wenn nicht
ein verheerender Hagelsturm dazwischenkam und doch noch alles zunichtemachte.
Er war erfolgreich, sehr erfolgreich sogar, aber manchmal kam es ihm
so vor, als würde das alles keinen Sinn ergeben. Die Kiesgrube machte ihn
täglich reicher, aber sie verschandelte auch die Landschaft. Seine Zukunft in
Brüssel wurde immer gewisser, aber das rief eine Menge Neider auf den Plan. Und
seine Frau? Die stand tapfer an seiner Seite und nahm Schlaftabletten, bevor
sie ins Bett gingen.
Sie hatten keine Kinder. Bis zu diesem Augenblick war Winkens froh
darüber gewesen, aber jetzt bereute er es. Er wünschte sich einen Sohn, einen
erwachsenen Sohn, mit dem er auf
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