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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Anruf annahm. Aber ich war nicht so schlau wie der Leder-Boy, der einer Gefahr aus dem Weg zu gehen wusste, wenn er sie erkannte.
    Ich ignorierte den Anruf – und schuf mir damit zumindest vorübergehend einen weiteren Feind.
     
    Mein Leben ist eine Folge von Prüfungen zur Klärung der Frage, ob ich in der Lage bin, meinen vermeintlichen Platz in der Welt zu behaupten, oder nicht. Ein regelmäßiger Test findet auf der Treppe in unserem Haus statt. Ich wohne ihm zehnten Stock. Zwischen zwei Etagen liegen je vierzehn Stufen – einhundertvierzig kleine Schritte bergauf. Außer spätabends gehe ich fast immer zu Fuß.
    Ich lege ein ordentliches Tempo vor.
    Die ersten Etagen sind kein Problem. Von der vierten bis zur achten geht mein Atem noch regelmäßig. Erst die letzten beiden Stockwerke sind richtig anstrengend. Nur wegen dieser letzten achtundzwanzig Stufen nehme ich die Treppe. Und wenn ich oben nicht außer Puste bin, gehe ich beim nächsten Mal schneller. Wenn ich diesen Aufstieg nicht mehr schaffe, weiß ich, dass es Zeit ist auszusteigen.
    Die Treppe ist nicht der einzige Test. Außerdem gibt es noch den schweren Sandsack in Gordos Studio oder das Ausmaß meiner Angst, wenn ich mit einer Pistole bedroht werde. Oder im selben Zimmer zu sitzen wie Hush, der, hätte er für jedes seiner Opfer eine Kerbe in seine Pistole geschnitzt, schon in der ersten Hälfte seiner Laufbahn den kompletten Griff weggehobelt hätte.
    Das Leben ist eine einzige Prüfung, und am Ende fällt man immer durch.
     
    In jenem Jahr hatte ich mir einen schwarzen Schlüssel für die Wohnungstür machen lassen. Bis auf die Farbe sah er aus wie ein normaler Schlüssel, doch er enthielt eine elektronische Komponente. Mit dem Schlüssel selbst bewegte man tatsächlich den Zylinder in einem mechanischen Schloss, doch mit der Elektronik wurde ein weiterer Bolzen entriegelt, der von unten aus dem Boden kam. Die Tür selbst war mit einer Titanplatte verstärkt.
    In einer Schublade in meinem Büro hatte ich mehrere Schlüsselringe mit den Generalschlüsseln für praktisch jedes Schloss in New York City. Für die Schlösser, die »Einzelanfertigungen« waren, hatte ich Dietriche, die sich den jeweiligen Zylindern anpassten.
    Nur weil ich mir der Gefahren bewusst war, die andere Menschen ignorierten, war ich noch nicht paranoid. Ich fand es auch absolut normal, die Schlösser der Wohnungstür mindestens einmal jährlich austauschen zu lassen.
    Meine Feinde mussten sich schon anstrengen, wenn sie mich oder einen der meinen erwischen wollten.
     
    Weil das Schloss immer relativ neu ist, macht es kaum Geräusche. Ich war schon auf halbem Weg den Flur hinunter zum Esszimmer, als ich die Stimmen hörte.
    Sie stammten von einem Mann und Katrina, die sich in normalem Ton unterhielten. Darin lag nichts Dringendes, kein Konflikt – kein Gefühl.
    »Dimitri?«, rief Katrina. »Dimitri, bist du das?«
    »Ich bin’s, Katrina«, sagte ich, als ich durch die offene Tür trat.
    Meine Frau saß an ihrem Ende des rustikalen Tisches aus Hickoryholz, ein Mann Ende dreißig einen Platz von ihr entfernt an der Seite. Vor beiden standen Teetassen.
    Er hatte braune Haut, glattes dunkles Haar und eine kleine europäische Nase. Sein Gesicht war zu jungenhaft, um es attraktiv oder unscheinbar zu nennen. Seine Augen waren ebenfalls braun und wirkten reifer als seine übrige Physiognomie.
    »Leonid«, sagte meine Frau.
    Sie stand auf und kam an dem Einmachglas mit Wildblumen vorbei auf mich zu. Sie küsste mich auf die Wange und fasste meinen Arm.
    »Das ist Bertrand Arnold«, sagte sie, »einer von Dimitris Kommilitonen.«
    Arnold, der etwa ebenso viel älter als Dimitri wie jünger als ich war, stand auf und streckte die Hand aus.
    »Freut mich, Sie kennen zu lernen, Mr. McGill. D hat mir viel von Ihnen erzählt.«
    »Das ist ein Scherz, oder?«, fragte ich.
    »Nein.«
    »Wieso verdammt noch mal sollte ein Junge, der mitmir höchstens drei Worte am Stück spricht, gegenüber Dritten ein Loblied auf mich singen?«
    Die Miene des braunen Mannes drückte Verwirrung aus. Darauf hatte er keine fertige Antwort, und das sagte mir etwas.
    »Ich … ähm …«, sagte er.
    »Leonid«, sagte Katrina mütterlich. »Du machst dem jungen Mann noch Angst.«
    »Was hat D Ihnen erzählt?«, fragte ich Bertrand. »Über mich, meine ich.«
    »Er … er h-h-h-hat gesagt, dass Sie Detektiv sind. Und, und dass er einmal gesehen hat, wie Sie am Strand zwei Männer k.o. geschlagen

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