Falscher Ort, falsche Zeit
Mal wieder.«
»Haben Sie eine Nummer, unter der ich ihn erreichen kann?«, fragte ich.
»Sicher.« Sie leerte ihren vierten Scotch, stand etwas unsicher auf und tapste zur Tür.
Als sie verschwunden war, erlaubte ich mir ein Lächeln. Ein John Prince wurde in Rinaldos Dossier nicht erwähnt. Das gefiel mir. Es gab mir das Gefühl, dem Big Boss einen Schritt voraus zu sein.
Als sie zurückkam, hatte Mrs. Lear ihr altweißesKleid abgelegt und ein dünnes Negligee übergestreift. Sie war schließlich erst Mitte vierzig. Sie mochte Alkohol und Männer; ich verkörperte beides.
»Ich kann sie irgendwie nicht finden. Muss sie in einem meiner Putzanfälle weggeworfen haben. Aber er steht wahrscheinlich im Telefonbuch.«
»Wissen Sie, wo er arbeitet?«, fragte ich, als sie wieder in ihren Sessel gesunken war.
»In einem Architekturbüro. Bei welchem, weiß ich nicht … tut mir leid.«
»Das macht nichts.«
»Sie haben Ihren Drink gar nicht angerührt«, tadelte Lizette.
»Im Dienst«, sagte ich. »Wovon leben Sie, Ma’am?«
»Lizette.«
»Wovon leben Sie, Lizette?«
»Ich habe schon seit einer Weile keinen festen Job mehr, Mr. Tooms. Wie heißen Sie mit Vornamen?«
»John.«
»Ich hab schon eine Weile keinen festen Job mehr, John. Die Nerven, wissen Sie. Angie hilft mir mit der Miete, und sie lässt jeden Montag und Donnerstag Lebensmittel liefern. Aber sie gibt mir kein Bargeld. Wenn ich eine Zigarette möchte, muss ich jemanden auf der Straße anschnorren.«
»Sie muss sehr gut verdienen in ihrem Job.«
»Sie hat mir erzählt, dass sie irgendein Stipendium bekommen hat oder so, und mit einem Teil davon unterstützt sie mich. Trotzdem sollte man meinen, dass sie mir ein paar Dollar geben könnte. Hin und wieder ein Fläschchen Wein ist schließlich keine Todsünde … Vielleicht könnten wir beide einen zwitschern gehen.«
»Vielleicht ein anderes Mal«, sagte ich und stand auf.
»Müssen Sie schon gehen?«
»Ich muss Ihre Tochter finden.«
»Angie geht es gut. Sie ist wie eine Katze.«
Lizette wollte aufstehen, doch ihr Körper verweigerte den Gehorsam.
»Kommen Sie wieder?«
»Wenn ich Angie gefunden habe, komme ich und sage Ihnen Bescheid.«
»Angie«, sagte Lizette höhnisch.
Als ich hinausging, hörte ich sie murmeln: »Hexe.«
21
Es war erst kurz nach acht, als ich die Höhle der hungrigen Lizette verließ. Von dort führten mich meine Schritte ein Stück die Straße hinunter zum Naked Ear.
Das Ear war an jenem Abend gerappelt voll. Große Gruppen junger und nicht mehr ganz junger Menschen drängten sich redend, trinkend und lachend um die Bar und buhlten um die Aufmerksamkeit der Barkeeperin.
Ich drängte meinen massigen Körper zwischen zwei Frauen in identischen blauen Kleidern und sagte »Verzeihung« zu einem Mann, der so heftig lachte, dass er es nicht schaffte, einen Schluck aus seinem Glas zu nehmen.
Zuletzt schob ich mich neben einen Mann mittleren Alters, der die New York Times las.
»Irgendwas passiert?«, fragte ich.
»Noch nicht«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Alle warten auf den Amtsantritt des neuen Präsidenten wie die frühen Christen auf das Ende der Zeit.«
Es gibt nur wenige Regeln, an die ich mich halte. In meinem Job kann man es sich nicht leisten, dass das Gestern einen von der Gegenwart ablenkt. Trotzdem rede ich grundsätzlich nie mit Fremden in Kneipen über Politik.
»Sie sind Mr. McGill, stimmt’s?«
Die Barkeeperin an diesem Abend hatte schwarze Haare und strahlend kobaltblaue Augen. Sie war ihr Leben lang immer nur Zweite hinter der Schönheitskönigin gewesen, doch die Preisrichter hatten die Party jedes Mal mit ihr verlassen.
»Cynthia«, kramte ich in meiner Erinnerung.
»Cylla«, sagte sie. »Ziemlich knapp.«
»Nicht Barkeeper-knapp.«
»Lucy hat mir gesagt, ich soll Ihnen ausrichten, dass sie heute Abend frei nehmen musste, aber morgen ist sie wieder hier.«
Ich spürte das Zucken unerwiderter Vernarrtheit, wo meinem Instinkt nach mein Herz liegen musste.
»Drei Cognacs, richtig?«
»Ja.«
»Suchen Sie sich einen Platz. Ich bringe sie Ihnen an den Tisch.«
Die äußeren Ränder des Lokals waren selbst an betriebsamen Abenden nie dicht besetzt. Seit das Ear eröffnet wurde, drängen sich die meisten Gäste um die Theke wie jugendliche Punks auf der Tanzfläche.
Ich fand einen kleinen runden Tisch neben einem knutschenden Pärchen. Ihre Liebe trug sie davon. Ihr Bier wurde zu Rotwein, und ihr Tisch stand draußen an den
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