Falsches Blut
Parkartige weit und breit war ein Springbrunnen neben dem Tor. Zumindest ging ich davon aus, dass es sich um einen Springbrunnen handelte– das Wasserreservoir war leer, und offenbar hatte der Betreiber beschlossen, dass es die Mühe nicht wert war, es wieder aufzufüllen. In der Luft hing der Gestank nach verfaulendem Gemüse.
Ich musste an sieben Lagerhausreihen vorbeifahren, bis ich das Gebäude von Sunshine fand– die Nummer dreizehn. Ziemlich passend, fand ich. Entfernungen zu schätzen, zählt nicht zu meinen Stärken, aber ich vermutete, dass das Gebäude rund dreißig Meter neben dem Straßenrand stand. Es war fensterlos und hatte nur einen einzigen Eingang, eine industriemäßige Tür aus Stahl und Glas mit einer roten Stoffmarkise darüber– nicht gerade einladend, aber vermutlich war dies kein Entscheidungskriterium gewesen, als Karen und Azrael den Mietvertrag unterschrieben hatten.
Ich parkte vor dem Gebäude. Nur ein einziger Wagen stand auf dem Parkplatz. Neben dem ramponierten Honda Akkord sah mein Dienstwagen wie die reinste Luxuskarosse aus. Wenn Azrael tagsüber mit einer Schrottkarre unterwegs war und seinen BMW nur abends ausfuhr, musste es irgendwo noch einen zweiten Parkplatz geben. Der Wind riss mir beinahe die Fahrertür aus der Hand, als ich ausstieg. Ohne einen Baum oder ein anderes Hindernis weit und breit ballte sich die Luft zwischen den langen Gebäudereihen wie in einem riesigen Windkanal. Ich konnte nur vermuten, dass die Architekten sich den Campus-Grundriss von der Purdue University, meiner Alma Mater, abgeschaut hatten– dem einzigen Ort auf der Erde, wo einem der Wind aus allen Richtungen ins Gesicht blies. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse und suchte das Gelände nach Aussichtspunkten und Fluchtmöglichkeiten ab. Im Westen befand sich ein Sojabohnenfeld, ansonsten gab es ringsum nichts als Lagerhäuser. Das Zufahrtstor war die einzige Möglichkeit, in das Gewerbegebiet zu gelangen und es wieder zu verlassen. Es könnte sich als Nadelöhr entpuppen, aber solange ich schnell war, sollte auch das zu bewerkstelligen sein. Das Gewerbegebiet lag so weit ab vom Schuss, dass wohl kaum viel Verkehr herrschte, sobald es erst einmal dunkel war. Die nächste Polizeistation war das Büro des Sheriffs von Hendricks County. Sie würden mindestens zehn Minuten brauchen, bis sie hier sein könnten.
Ich wartete noch eine Viertelstunde neben meinem Wagen, sah jedoch weder Angestellte oder Wachleute vorbeifahren oder irgendjemanden in den umstehenden Gebäuden für eine Zigarettenpause herauskommen. Wenn das Areal schon mitten am Nachmittag so verwaist war, musste nachts garantiert völlig tote Hose sein.
Schließlich stieg ich in meinen Wagen, fuhr über die Interstate nach Plainfield und suchte mir ein Motel. Es war billig, aber sauber und funktional– Bett, Bad, Fernseher. Ich schloss die Tür hinter mir, ließ mich aufs Bett fallen und wählte von dem Apparat auf dem Nachttisch aus Hannahs Handynummer. Sie hob nicht ab, also sprach ich auf ihren Anrufbeantworter und warnte sie, sich erst einmal von unserem Haus fernzuhalten. Ich konnte mir zwar eigentlich nicht vorstellen, dass sie vorgehabt hatte, das in absehbarer Zeit zu tun, trotzdem hatte ich das Gefühl, es ihr noch einmal einbläuen zu müssen. Ich legte auf und legte meine Schlüssel und meine Dienstwaffe auf den Tisch neben dem Bett. Ich fühlte mich völlig kraftlos, und eine bleierne Erschöpfung ergriff Besitz von mir. Ich wusch mir das Gesicht, verrichtete das Nachmittagsgebet und fiel dann ins Bett.
15
Das Geräusch unkoordinierter Schritte auf dem Korridor vor meinem Zimmer riss mich aus dem Schlaf. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich geschlafen hatte. Einen Moment lang war ich sicher, dass sie von Megan stammten. Wenn sie rannte, hörte es sich jedes Mal wie eine Mischung aus Taumeln und Sprint an. Bestimmt gibt es eine medizinische Begründung für dieses typische Bewegungsmuster von kleinen Kindern, trotzdem fand ich sie einfach nur niedlich und selbstverständlich ganz besonders. Ich kratzte mich am Kopf und setzte mich im Bett auf. Niemand war in mein Zimmer eingebrochen, solange ich geschlafen hatte. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machen.
Ich schüttelte den Kopf, um vollends wach zu werden, und trat ans Fenster. Die Dämmerung hatte gerade eingesetzt. Zwei Kleinkinder planschten im flachen Ende des Motelpools, während die Mutter ihnen von ihrem weißen Plastikgartenstuhl
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