Falsches Blut
Sie stand auf. » Und besorg dir ein Kartentelefon. «
Nach einem letzten Blick durch den Park ging sie zu ihrem Wagen. Das war eine der kürzesten Begegnungen, die ich je mit ihr gehabt hatte, trotzdem fühlte ich mich gut; so als hätte mich das Gespräch mit neuer Energie erfüllt. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich das Gefühl, wieder eine Verbündete an meiner Seite zu haben, der ich hundertprozentig trauen konnte.
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Obwohl Olivia das Gegenteil behauptete, war ich einigermaßen sicher, dass meine Chancen, das Ganze zu überleben, selbst mit ihrer Hilfe höchstens bei 50:50 standen; daher beschloss ich kurzerhand, die Sorge um meinen Cholesterinspiegel einfach zu vergessen und mir etwas zu gönnen, solange es noch möglich war: Statt ins Motel zurückzufahren, suchte ich mir den nächsten schmierigen Diner und bestellte ein Frühstück aus Spiegeleiern, Bratkartoffeln und mehr Truthahn-Speck, als der Durchschnittsmann pro Jahr verspeist. Danach beschloss ich, das Risiko einzugehen und auf einen Sprung zu Hause vorbeizusehen. Bei meinem überstürzten Aufbruch am Vortag hatte ich nämlich nur das Allernötigste mitgenommen und folglich kein einziges Kleidungsstück mehr, das nicht nach Rauch und geschmolzenem Plastik stank. Außerdem wollte ich mich noch einmal davon überzeugen, dass die Nachbarskinder nicht die Haustür eingetreten und sich in meinen vier Wänden ausgebreitet hatten.
Sicherheitshalber fuhr ich etwa zwanzig Minuten lang die Straße auf und ab und hielt nach Observierungsfahrzeugen Ausschau, konnte aber nirgendwo eines entdecken. Schließlich stellte ich den Wagen in der Einfahrt ab. Der Regen hatte den Schmutz und Staub fortgespült, und allmählich gewann die spätsommerliche Hitze die Oberhand, was einem das Gefühl gab, als befände man sich am Amazonas. Ich drehte eine Runde ums Haus, um herauszufinden, ob jemand die Scheiben eingeschlagen oder sonstige Schäden angerichtet hatte, doch alles sah genauso aus wie immer, von der vernagelten Tür, die dem Haus etwas Trostloses verlieh, einmal abgesehen.
Ich ging hinein, nahm eine Dose Limonade aus dem Kühlschrank und ging weiter ins Schlafzimmer. Dort herrschte immer noch das blanke Chaos, aber das würde warten müssen. Ich holte eine Reisetasche aus dem Schrank und stopfte mehrere Hemden und Hosen hinein. Dann hängte ich meine nach Rauch stinkende Jacke an den Bettpfosten und zog meine alte, braune vom Bügel. Um Schultern und Arme saß sie ziemlich locker– ich hatte abgenommen, seit ich sie zuletzt getragen hatte; aber es würde gerade noch gehen.
Ich trug die Tasche in mein Arbeitszimmer und stellte sie im Türrahmen ab. Wenn ich mir Mike Bowers vom Hals schaffen wollte, musste ich ihm jemand anderes liefern, den er unter die Lupe nehmen konnte. Es war mitten am Tag, deshalb würden Karen und Azrael mich wohl in Ruhe lassen. Mir blieb also noch etwas Zeit. Ich setzte mich an den Schreibtisch und blätterte in den Unterlagen, die ich vor Kurzem ausgedruckt hatte. Bei Karen Reas Lebenslauf blieb ich hängen. Von ihrem einstigen Kollegen, Dr. Wexler, hatte ich erfahren, dass sie einige Zeit für die South African Medical Services tätig gewesen sei und deswegen Gewissensbisse gehabt habe. Schlimmer noch– offenbar war ihre Tätigkeit der Grund, weshalb ihre Karriere den Bach hinuntergegangen war. Das war zwar nicht viel, aber immerhin ein Anfang.
Ich warf den Computer an und drehte mich nachdenklich auf meinem Stuhl hin und her, solange er hochfuhr. Collegeprofessoren standen den exzentrischen Ansichten ihrer Kollegen meist sehr tolerant gegenüber. Spontan fiel mir nur einer ein, der sich von allen Seiten harsche Kritik gefallen lassen musste: ein Juraprofessor aus Kalifornien, in dessen Augen Folter rechtlich zulässig war. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass Karen jemanden gefoltert hatte, aber nachdenklich machte es mich trotzdem.
Ich gab die Stichworte South African Medical Services und Biologische Waffen in die Suchmaske ein und erhielt hunderttausend Ergebnisse, die sich vorwiegend mit der Frage beschäftigten, welche Folgen ein Angriff auf Südafrika hätte. Also änderte ich die Suche und gab die Daten von Karens Aufenthalt ein, was die Zahl der Ergebnisse stark reduzierte und das Stichwort » Projekt Coast « ins Spiel brachte. Ich klickte einen wissenschaftlichen Artikel des Brookings Institute an und las die Zusammenfassung. » Du elendes Miststück. «
Wenn ich dem Artikel glauben konnte, würde »
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