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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Lichter über dem Kanal ausgingen und der Palazzo verblaßte, so als würde er langsam im Wasser zerfließen. Warum wurde mir das angetan! Er wollte aufschreien, da spürte er, daß sie ihm nahe war, neben ihm stand.
    Sie hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Gewiß hatte er den entscheidenden Punkt seines Lebens verpaßt oder irgend etwas schrecklich Böses getan, sonst hätte ihm dies einfach nicht passieren dürfen! Nein, nicht einem Tonio Treschi, dem so vieles andere bestimmt gewesen war.
    Verrückte Gedanken.
    Es war das Elend dieser Welt, daß tausendfaches Unglück jene traf, die schuldlos waren, und niemand je dafür bestraft wurde. Die größten Versprechen wurden mit nichts als Elend und Not abgegolten. Kinder wurden verstümmelt, um einen Chor von Seraphim zu bilden, deren Gesang ein Schrei zum Himmel war, vor dem der Himmel seine Ohren verschloß.
    Und er, der durch irgendeinen Zufall in den Gassen Venedigs dort hineingeraten war, er hatte sich an Winterabenden unter Sternen wie diesen das Herz aus dem Leib gesungen.
    Doch einmal angenommen, es war, wie sie sagte. Er stand da und sah im Dunkeln auf sie herab, auf die Rundung ihres kleinen Kopfes, ihre nackten Schultern über der Decke, die sie sich locker umgewickelt hatte. Als sie den Blick zu ihm erhob, sah er ihre weiße Stirn und die dunklen Konturen ihres Gesichtes.
    Angenommen, es war tatsächlich möglich, daß sie am Rande jener glitzernden Welt, die die ihre war, irgendwie zusammenleben und sich lieben konnten, und daß ihnen alles übrige, was anderen geschenkt war, egal sein konnte?
    »Ich liebe dich«, sagte er.
    Und du hast mich fast dazu gebracht, auch an diese Liebe zu glauben, fügte er in Gedanken hinzu. Wie konnte er sie verlassen? Wie konnte er Guido verlassen? Wie konnte er sich von sich selbst trennen?
    »Und wann wirst du gehen?« fragte sie. »Nun da du dich entschlossen hast, es zu tun, und dich nichts davon abhalten kann...«
    Er schüttelte den Kopf. Er wünschte, sie würde nichts mehr sagen. Sie hatte sich nicht damit abgefunden, nein, noch nicht.
    Er konnte es nicht ertragen, zu hören, daß sie so tat, als wäre es so. Morgen würde die letzte Vorstellung sein. Wenigstens soviel Zeit hatten sie noch.

    7

    Das letzte Rennen war gerade vorbei. Die Pferde waren durch das Gedränge gestürmt, waren zweimal in die Menge ausgebrochen und hatten einige der Zuschauer unter ihren Hufen begraben. Laute Schreie hatten die Luft erfüllt, aber nichts hatte die Tiere, die wild auf die PiazzaVenezia zugaloppier-ten, aufzuhalten vermocht. Die Verletzten und Toten wurden weggebracht. Tonio, der oben auf der Zuschauertribüne stand, drückte Christina fest an sich, während er zur Piazzahinüber-starrte, wo man den aufgeregten Tieren nun große Tücher über den Kopf warf.
    Dunkelheit legte sich sanft über die Dächer. Jetzt begann, wenige Stunden, bevor die Fastenzeit anfing, die große Abschlußzeremonie des Karnevals: die moccoli.
    Überall sah man Kerzen. Sie erschienen in Fenstern entlang der schmalen Straße, sie erschienen oben auf Kutschen, auf den Enden langer Stangen, in den Händen von Frauen, Männern und Kindern, die vor den Türen saßen, bis überall das sanfte Flackern Tausender und Abertausender von Kerzenflammen zu sehen war. Tonio zündete seine Kerze rasch bei seinem Nebenmann an, um dann wiederum Christinas Wachskerze damit anzustecken. Mit einem Mal hatte sich überall ein Flüstern erhoben: »Sia ammazzato chi non porta moccolo« - »Tod demjenigen, der keine Kerze trägt.«
    Plötzlich schoß eine dunkle Gestalt auf Christina zu und blies ihre Kerze aus, die sie vergeblich mit der Hand hatte abzuschirmen versucht. »Sia ammazzato la Signora!« Tonio gab ihr rasch wieder Licht. Während er sich bemühte, seine eigene Flamme außer Reichweite jenes Mannes zu halten, blies er diesem jetzt mit der ganzen Kraft seiner großen Lungen die Flamme mit demselben Fluch aus: »Sia ammazzato il signo-re.«
    Die ganze Straße unten war ein Meer schwach erleuchteter Gesichter. Jedermann versuchte, seine eigene Flamme zu schützen, während er sich bemühte, andere auszulöschen: Tod dir, Tod dir, Tod dir...
    Tonio nahm Christina bei der Hand und führte sie durch die Sitzreihen hinunter, blies dabei hier und da eine ungeschützte Kerze aus, während die Umstehenden sich dafür zu rächen suchten. Er bahnte sich, Christina mit sich ziehend, einen Weg durch das dichteste Gedränge, während er von irgendeiner Seitenstraße

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