Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
sie einen kleinen Umweg in Kauf nahm, dann konnte sie bei der Farm der Brouwers vorbeifahren. Die hatten ein Funkgerät und konnten auf Owitambe Bescheid geben, dass Benjamin wohlbehalten bei ihr war. Außerdem konnte es wirklich nichts schaden, wenn der Junge einmal das karge Leben der Buschmänner kennenlernte.
» Was du getan hast, ist nicht zu entschuldigen«, meinte sie streng. Doch in ihrer Stimme schwang jetzt auch Verständnis mit. » Allerdings kann ich es mir nicht erlauben, jetzt noch einmal umzukehren. Wenn du mir versprichst, nie wieder einfach so, ohne deine Eltern um Erlaubnis zu fragen, wegzulaufen, dann werde ich dieses Mal ein Auge zudrücken und dich mitnehmen. Aber ich warne dich. Du wirst heute Nacht unter dem Sternenhimmel schlafen müssen. Es wird kalt werden, und du wirst womöglich das Gebrüll wilder Tiere um dich herum hören. Ich kann dir zwar versprechen, dass dir nichts geschehen wird, aber nur, wenn du genau das tust, was ich dir sage.«
» Das werde ich, Tante Jella«, versprach Benjamin ernst. » Und dann werde ich auch noch aufpassen, dass dir nichts geschieht.«
Jella musste sich ein Lachen verkneifen. » Na, dann klettere mal zu mir nach vorne! Oder möchtest du weiterhin so durchgerüttelt werden?«
Es war noch ein gutes Stück bis zu dem Platz, wo sie die Buschmänner vermutete, als unvermittelt eine kleine, zierliche Frau mittleren Alters hinter einem Rosinenbusch hervortrat und mitten auf dem Pad stand. Jella hielt sofort an und sprang erfreut aus dem Wagen.
» Nakeshi!«
» Sternenschwester!«
Die beiden so unterschiedlichen Frauen fielen einander um den Hals. Beide hatten vor Freude Tränen in den Augen.
» Ich wusste, dass du kommst, Sternenschwester«, meinte Nakeshi in ihrer Sprache und grinste ihr spitzbübisches Lächeln. » Ich habe von dir geträumt.«
Benjamin, der nun ebenfalls aus dem Wagen geklettert war, kam etwas schüchtern auf die beiden zu.
» Das ist Benjamin«, erklärte Jella und schob ihren Neffen nach vorne. Nakeshi lächelte freundlich und fing plötzlich an, ein Tier nachzumachen. Dabei kniff sie ihre mandelförmigen Augen zusammen und tat so, als könne sie schlecht sehen. Außerdem beugte sie sich etwas nach vorne und marschierte breitbeinig auf und ab. Mit ihrer linken Hand verlängerte sie ihre Stupsnase zu einem langen Horn.
» Kennst du dieses Tier?«, fragte sie in gebrochenem Deutsch.
» Ein Nashorn, das ist ein Nashorn!«, rief Benjamin begeistert. » Onkel Fritz hat mir schon so viel von diesen großen Tieren erzählt, aber ich habe noch nie eines gesehen.«
» Ganz in der Nähe lebt eine Nashornkuh mit ihrem Kalb«, meinte Nakeshi. » Wenn deine Tante es erlaubt, werde ich sie dir zeigen. Aber du musst sehr vorsichtig sein. Diese Tiere sehen ganz schlecht und sind gefährlich.« Sie kniff nochmals die Augen zusammen und rempelte Jella absichtlich an. Dann bekam ihr Gesicht einen grimmigen Ausdruck, und sie begann zu schnauben und auf Benjamin zuzurennen. Der Junge schrie auf und versteckte sich rasch hinter seiner Tante, die herzhaft lachte.
» Jetzt weißt du, wie gefährlich Nashörner sind«, meinte Nakeshi ernst.
Benjamin strahlte Nakeshi bewundernd an. » Du kannst sehr gut ein Nashorn nachmachen«, meinte er anerkennend.
» Das ist die Art, wie unsere Kinder von uns Erwachsenen lernen«, erklärte die Buschmannfrau. » Lasst uns nun zu meinem Stamm gehen. Wir haben nicht viel, aber wir teilen unser Essen gerne mit euch!«
» Ich habe ausreichend Proviant mit«, meinte Jella. » Heute Abend werden wir ein Festmahl veranstalten.«
Wie jedes Mal, wenn Jella zu der Buschmanngruppe stieß, ergriff sie eine tiefe Zufriedenheit. Das einfache Leben dieser Menschen, das sich seit Tausenden von Jahren nicht geändert hatte, faszinierte sie trotz all seiner Kargheit. Diesen Menschen war es gelungen, etwas von der Ursprünglichkeit der Schöpfung für sich zu bewahren und ihr so ganz nah zu sein. Viele ihrer Lebensanschauungen erschienen auf den ersten Blick fast banal, aber je länger sie darüber nachdachte, umso mehr erkannte sie die tiefe Wahrheit darin. Die Buschmänner lebten ohne einen erklärten Anführer. Männer und Frauen waren gleichgestellt und diskutierten alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam. Ihre Kinder wuchsen in einer Gemeinschaft auf, in der sich nicht nur Vater und Mutter, sondern auch Tanten, Onkel oder andere Sippenmitglieder um sie kümmerten. Es war ganz normal, dass ein Kind selbst wählte, bei wem es
Weitere Kostenlose Bücher