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Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
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Sie behält den Kopf, bleibt in den schwierigsten Situationen vernünftig und fest, egal, wie enttäuscht, wie betrogen sie sich fühlt; sie verliert das Einzige, was zählt, niemals aus dem Blick: Das ist eine Familie und wird immer eine Familie bleiben.
    *
    Ich habe gesagt, so werden wir das machen. So habe ich alles organisiert. Das habe ich zu ihr gesagt. Und zu ihm. Außerdem habe ich noch einiges andere gesagt. Eine ganze Menge. Daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Ich weiß, dass ich viel geredet habe, denn das hat irgendwie geholfen, und sonst hat ja keiner geredet – was hätten die anderen schon sagen sollen? Die Kinder durften es natürlich nicht wissen, damals nicht und nicht in Zukunft, deshalb konnte ich nur reden, wenn sie nicht da waren, und das war selten genug der Fall. Roger war erst zwei.
    Ich habe vor allem mit Charles geredet – an ihn hingeredet trifft es wohl besser. Charles hat nicht viel dazu gesagt. Er saß da und starrte durch einen hindurch, wie es seine Art ist, und man weiß gar nicht, ob er überhaupt zuhört. Ich habe ihm gesagt, egal, wie verletzt ich bin, egal, wie sehr er uns enttäuscht hat, das Einzige, was zählt, ist die Familie. Die Kinder. Und zwar alle – das noch ungeborene Kind genauso. Und Ingrid. Auch sie. Keine Sekunde lang wollte ich, dass sie geht; das habe ich ihm gleich auf den Kopf zugesagt. Das komme gar nicht in Frage, das Ganze sei ein kindischer, dummer Fehler gewesen, das sei mir klar – und jetzt müssten wir alle damit leben, für immer. Und die einzige, die beste Möglichkeit sei es, gemeinsam damit zu leben, als Familie. Außer natürlich, dass die Kinder nichts davon erfahren durften, keines von ihnen, nicht einmal … Clare. Ich hatte mir überlegt, wie man es ihnen erklären könnte, und genau so würden wir es ihnen sagen, fertig. Sie könnten es einfach vergessen, sie wären dann eben zu sechst, und alles wäre in Butter. Wir bräuchten nie wieder darüber zu reden, wir hätten genug geredet, ich jedenfalls, alles wäre geregelt und wir würden einfach das Beste daraus machen. Verstehst du?, fragte ich ihn. Begreifst du? Aber er starrte mich nur weiter an, und ich erinnere mich nicht, was er gesagt hat. Nicht viel jedenfalls.
    Das war die einzige Möglichkeit. Die einzige Möglichkeit, damit fertigzuwerden. Die Kinder haben es nie erfahren. Da bin ich ganz sicher. Manchmal vergesse ich es selber fast. Manchmal.
    *
    Das alles liegt nun lange zurück. Alison ist ein anderer Mensch geworden, sie ist nicht mehr eine junge Mutter im wallenden Laura-Ashley-Kleid, deren mausbraunes Haar aus den Klammern rutscht, sondern eine fünfundsechzigjährige Mutter im Sackkleid aus Cord und mit graubraunem Haar, das so widerspenstig ist wie eh und je. Sie ist immer noch zuallererst Mutter, aber nur noch symbolisch, diese Rolle bestimmt ihren Status, aber nicht mehr ihr Tun. Ihre Tage sind mit Allersmead ausgefüllt – Allersmead stellt immer noch Ansprüche, braucht Wartung und Überwachung –, und sie ist viel in der Küche beschäftigt. Sie hat immer noch Leute zu bekochen, und zweimal die Woche kommen die Kochkursteilnehmerinnen, denen sie beibringen kann, wie man andere bekocht. Frauen kommen und gehen – im Lauf der Jahre sind sie für Alison zu einer Art Einheitstyp verschmolzen, der blutigen Anfängerin, die ewig die Hollandaise verpatzt und das Soufflé zum Einsturz bringt. Es hat Hochbegabte gegeben, die Alison mit Auszeichnung entlassen konnte. Und Frauen, deren Persönlichkeit einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, deren Kommentare und Blicke sich Alison eingebrannt haben, so gern sie sie löschen würde. Frauen dieser Art tragen edle Kleider, ihrem Haar wird sorgfältige Beachtung zuteil, sie besitzen eine Taille und einen gepflegten Teint, da verstehen sich chic eingerichtete Häuser und aufmerksame Gatten von selbst. Es blieb Alison nicht verborgen, dass diese Frauen keine Notiz von ihr genommen hätten, wäre sie nicht die Köchin, die sie ist; für diese Frauen ist sie eine niedere Spezies. Langsam begann sie sich zu fragen, ob sie andere Frauen wirklich mag.
    Alison hat heute weniger Freundinnen. Früher, als die Kinder noch zur Schule gingen, hatte sie einen Freundeskreis in der Nachbarschaft, die anderen Mütter, mit denen sie verkehrte, die ihren Nachwuchs in Allersmead zum Spielen vorbeibrachten. Alison hatte es sich nicht verkneifen können, sich vor ihnen zu brüsten. Niemand sonst hatte sechs . Aus keinem anderen Haus

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