Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Familienalbum

Familienalbum

Titel: Familienalbum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Lively
Vom Netzwerk:
Familie?«, fragt der Polizist. »Gibt es jemanden, den wir für Sie holen können?«
    »Ich habe keine Familie«, sagt Paul.
    »Sonst jemanden?«, fragt der Polizist.
    Paul antwortet nicht. Der Polizist steht jetzt draußen, vor dem Fenster. Paul rutscht auf der Brüstung weg von ihm, und dann sieht er, dass am Fenster auf der anderen Seite auch ein Polizist steht.
    Paul sagt: »Bleibt mir bloß vom Leib.«
    Die Tauben auf dem Dach gegenüber heben ab. Los, Paul. Jetzt .
    Der Polizist sagt: »Ich geh heute Nachmittag zu dem Arsenal-Spiel. Sind Sie ein Fan von Arsenal, Paul?«
    Unten fährt kein Auto mehr. Ein zweiter Polizeiwagen hat sich am Ende der Straße quergestellt.
    »Heiß hier draußen«, sagt der Polizist. »Möchten Sie was trinken, Paul? Eine Flasche Wasser?«
    Paul schaut hinunter. Er blickt in die nach oben gewandten Gesichter der Leute. Sein Magen scheint sich zu verflüssigen, und er muss wieder nach oben schauen, zum Dach gegenüber, wo eine neue Taube gelandet ist. Er betrachtet diese Taube, die schillernde Brust, den nickenden Kopf.
    Der Polizist bewegt den Fuß, ein leises Schleifgeräusch.
    »Komm mir nicht in die Nähe«, sagt Paul. »Sonst …« Er schaut wieder nach unten.
    Dann fängt der zweite Polizist an zu reden. Auch er steht jetzt außerhalb des Fensters auf dem Balkon. Wann ist er herausgestiegen? »Paul«, sagt er, »warum gehen Sie nicht rein, und wir reden ein bisschen.«
    Paul dreht den Kopf zu ihm. »Komm bloß nicht …«
    Starke Arme packen ihn um die Taille und ziehen ihn rückwärts von der Brüstung. Schon ist der zweite Polizist zur Stelle, gemeinsam hieven sie ihn durchs Fenster in den Raum. Er ist hilflos.
    »So ist’s gut, Paul«, sagt der erste Polizist. »Gut gemacht.«
    *
    Er entfernt sich wieder, der Polizist. Beide Polizisten gehen, versinken wieder im Morast der Menschen in seinem Kopf, und Paul ist erleichtert. Auf diese Szene ist er nicht besonders scharf; er würde sie gern streichen, aber man kann sich nicht aussuchen, was gestrichen wird und was nicht.
    »Als Allererstes kündigst du bei dieser verdammten Putzfirma«, sagte Gina. »Von allen Idiotenjobs … Und jetzt hör mir mal zu, ich habe da einen Plan …«
    »Sag ihr nichts«, sagte Paul. »Erzähl ihnen nichts … Davon. Schwörst du?«
    Gina seufzte. »Ich versuche, dir von meinem Plan zu erzählen. Na gut. Obwohl ich persönlich glaube, dass sie es erfahren sollten.«
    »Schwöre!«
    »Ich hab doch gesagt, na gut. Und jetzt hörst du mir zu … Ich habe da eine Ausbildung gefunden.«
    Auch diese Szene will Paul nicht gern wieder durchkauen. Ausbildungen waren nie sein Ding. Die zogen sich ewig hin, man sah kein Ende, und nach ein paar Monaten oder Wochen langweilte einen alles, wofür man da ausgebildet wurde. Nein. Man muss vom Fließband springen, bevor es zu spät ist, bevor man zu etwas zerhackstückt wird, was man nicht sein will.
    Er starrt in Allersmead zur Decke hoch, und es kommt ihm vor, als wäre Allersmead selbst eine Art Ausbildung gewesen. Aufwachsen als Inhalt. Genauer gesagt: Hier und auf diese Weise aufwachsen. Aber sie hatten diese Ausbildung zu sechst durchlaufen, und jetzt schau uns an, dachte er. Nicht gerade einheitlich, was dabei herausgekommen ist.
    Mit dem vertrauten nächtlichen Knarzen kommt Allersmead rings um ihn zur Ruhe. Er ist wieder sechs, oder zehn, oder sechzehn.

Der Bauer braucht ’ne Frau
    Gina ist neununddreißig. In diesem Alter hat man üblicherweise leichte Torschlusspanik, die Angst, dass mit vierzig das Ende der Fahnenstange erreicht sein könnte, aber eigentlich ist Gina ziemlich zufrieden, vielleicht sogar mehr denn je. Der Vierzigste kann ihr den Buckel runterrutschen; mit der Arbeit läuft es gut, und da ist Philip.
    Gina hat Beziehungen immer als unsichere Sache betrachtet: Verlass dich auf nichts, nichts dauert ewig. Das war die Lehre, die sie aus einigen Anfangsfehlern und Vertrauensbrüchen zog. Sie weiß, dass sie genauso oft im Unrecht war wie im Recht. Die sechs Jahre mit David waren ihr Rekord, aber irgendwann war es so weit und die Beziehung gescheitert, wie Gina immer dumpf geahnt hatte.
    Aber jetzt gibt es Philip.
    Sie ertappt sich bei dem Gedanken, vielleicht diesmal. Sie ertappt sich bei der Hoffnung, vielleicht diesmal.
    Gina erkennt in Philip etwas von sich selbst. Auch er ist oft unruhig, schnell gelangweilt oder gereizt, arbeitsbesessen und neugierig. Diese Eigenschaften können gelegentlich zu Reibereien führen, meist aber bedeuten

Weitere Kostenlose Bücher