Familienalbum
Männergröße trägst.«
Gina bekommt ein Teeservice aus Porzellan mit einem hübschen rosa Dekor, Tassen und Unterteller, Teekanne, Milchkännchen. »Ich dachte, für deine Wohnung. Ich weiß, dass du eine Mitbewohnerin hast; behalt’s lieber für dich, vielleicht die ersten Teile deiner Aussteuer.« Fröhliches Lachen.
Aha, denkt Gina. Meine Aussteuer, auch wenn man so etwas nicht mehr hat – Mum ist nicht mehr ganz auf dem Laufenden. Mit Sicherheit eine Anspielung: Komm zur Ruhe und heirate, kümmere dich um die wesentlichen Dinge.
Sandra bekommt eine flauschige weiße Angorajacke. »Ich konnte nicht widerstehen«, sagt Alison strahlend. »In deinem Alter hätte ich wahnsinnig gern so eine Jacke gehabt, aber ich hatte kein Glück.« Sandra und Gina tauschen einen Blick, einen kurzen Moment sind sie sich einig.
An den Schaffellpantoffeln für Katie und Clare scheint nichts auszusetzen, aber Paul starrt ratlos seinen Tennisschläger an. »In der Schule bist du mal wirklich gut gewesen, Schatz, und ich dachte – du solltest wieder anfangen, in einen Klub gehen oder so, das täte dir so gut und du würdest nette Leute kennenlernen.«
Paul lässt dieser Tage nicht viel von sich hören. In Allersmead ist man besorgt und beklagt sich – das heißt, Alison ist besorgt und beklagt sich.
»Danke«, sagt Paul. »Super. Vielen Dank.« Er steht auf und schwingt probeweise eine Vorhand.
Alisons Augen leuchten. »Ich wusste, dass er dir gefallen würde. Du solltest an den Wochenenden immer nach Hause kommen und in den Country Club gehen – wir bezahlen die Mitgliedschaft, nicht wahr?« Sie wendet sich an Charles.
Charles neigt den Kopf. »Ich bin sicher, Paul wäre ein Gewinn für den Klub. Genau die Art Mitglied, die sie sich schon immer gewünscht haben.«
Paul sieht seinen Vater prüfend an. »Das ist doch nicht etwa Sarkasmus, Dad?«
Etwas Bösartiges ist auf Zehenspitzen in den Raum geschlichen und bringt alle zum Verstummen. Alison lacht: »Sei nicht albern, Schatz. Dad macht nur Witze.«
»Er macht keine Witze«, sagt Ingrid. »Nicht so oft.« Alle sehen sie an. Sie steht auf. »Soll ich Kaffee bringen?«
Alisons Stimme wird einen Ton höher, immer ein schlechtes Zeichen. »Ja, bitte mach das. Und könntest du einen Blick auf den Truthahn werfen? Ich muss ihn bald aus dem Ofen nehmen.« Sie greift zu einem Päckchen. »Von wem ist denn das? Oh – von Corinna und Martin. Ich habe ihnen eine handliche kleine Knoblauchpresse geschickt. Corinna findet die sicher praktisch. Roger und Katie, ich weiß nicht, was daran so komisch ist.«
»Tut mir leid, Mum«, sagt Katie. »Es ist nur die Vorstellung …«
»… wie Corinna Knoblauchzehen niedermetzelt«, sagt Roger. »Reiß dich zusammen, Katie.«
Gina wühlt aus dem Haufen ein Päckchen hervor. »Hier ist mein Geschenk für dich, Dad.«
Charles wickelt einen viktorianischen Brieföffner mit Elfenbeingriff aus. »Ah. Ist der dazu gedacht, meine Feinde zu erdolchen?«
»Man macht Briefe damit auf«, sagt Gina.
»Wie er genau weiß. Ich glaube, das war wirklich ein Witz«, sagt Paul.
»Jetzt hört aber auf!«, ruft Alison. »Paul, geh in die Küche und hilf Ingrid mit dem Kaffee. Sie kann nicht alles allein tragen.«
Gina sieht Alison aufmerksam an. Sie kennt die Anzeichen. Alison ist gereizt, kurz vor der Explosion. Weihnachten ist schließlich der Höhepunkt des Familienlebens, der ganz besondere Tag, an dem der Familienzusammenhalt am stärksten sein soll. Er stellt Alison vor größte Herausforderungen – das Essen, die Dekoration, die Geschenke, die Rituale. Der Kühlschrank und der Gefrierschrank sind zum Bersten voll, überall im Haus wuchern Ilex und Efeu; gestern Abend haben sie Weihnachtslieder gesungen, obwohl Paul noch nicht da war. Sandra allerdings war mit Haarewaschen beschäftigt und Charles ausgegangen, warum auch immer. Alisons Nerven sind zum Zerreißen gespannt. In diesem Tag gipfelt für sie das ganze Jahr, das Familienjahr, alle sind da; sie sollte in ihrem Element sein, stattdessen ist sie nervös, verletzlich, launisch.
Ingrid und Paul kehren zurück und verteilen Kaffeebecher.
»Eigentlich hätte ich gedacht, die guten Tassen – für Weihnachten«, sagt Alison. »Aber egal. Erinnert ihr euch an das Weihnachten, als Roger behauptet hat, er habe das Sixpencestück aus dem Christmas-Pudding verschluckt? War natürlich alles Schwindel. Und wisst ihr noch, wie Sandra von der Stehleiter gefallen ist, als sie die Papiergirlanden
Weitere Kostenlose Bücher