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Familienaufstellungen

Familienaufstellungen

Titel: Familienaufstellungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Tillmetz
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häufig Identifizierungen mit vergessenen Personen, oft früh verstorbenen Geschwistern eines Elternteils, fest.
    Eine solche Identifizierung kann sich in der Familienaufstellung auflösen, wenn das missachtete, vergessene Familienmitglied im Familiensystem wieder einen angemessenen Platz neben seinen Geschwistern erhält. Dies geschieht, wenn sich die betreffende Person vor dem Schicksal des Onkels oder der Tante, mit dem bzw. der die Identifizierung besteht, verneigt und mit ihm oder ihr spricht. Entscheidend hierbei ist ein tiefer Kontakt mit dieser bisher oft unbekannten Person. Der bereits erwähnte Grundsatz »Ablösung setzt Bindung voraus« kommt hier wieder zum Tragen. Eine Identifizierung ist nicht durch Weglaufen und Augenschließen zu lösen, sondern nur, indem eine intensive Beziehung aufgenommen wird, die eine Unterscheidung zulässt. Damit wird die zuvor fremde Person als Gegenüber realisiert und klar vom eigenen Ich abgegrenzt. Erst dann sind eine Trennung und infolgedessen eine Auflösung der Identifizierung möglich.
    Folgende Aufstellung zeigt eine Identifizierung. Anhand dieser werden Hypothesen vorgestellt, die erklären, wie eine Identifizierung entstehen könnte.
     
    ▶▶ Beispiel: Christina leidet unter immer wiederkehrenden Ängsten bis hin zu Panikattacken. Sie ist übernervös und hat Neurodermitis. Christina wuchs bei ihren Eltern mit einem jüngeren Bruder auf. Zu ihrem Vater und ihrem Bruder hat sie ein entspanntes Verhältnis. Ihre Mutter beschreibt sie als überfürsorglich und trotzdem irgendwie nicht erreichbar. Aus ihrem Genogramm geht hervor, dass eine jüngere Schwester der Mutter im Alter von fünf Jahren gestorben war. Sie wurde im Jahr 1945 auf der Flucht nach Westdeutschland tödlich verletzt.
    In der Familienaufstellung ist zu sehen, dass Christinas Mutter wie gebannt in die Ferne schaut. Christinas Double steht neben der Mutter und friert. Der Vater ist mit Abstand neben der Mutter platziert und fühlt sich recht verloren, den besten Kontakt hat er zu seinem Sohn, der ihm gegenübersteht. Die Therapeutin sucht nach einer fehlenden Person und stellt die früh verstorbene Schwester der Mutter auf. Zuerst steht diese der Mutter
gegenüber, später neben ihr, also auf dem Platz, wo ursprünglich Christina ihr Double hingestellt hatte. Christinas Stellvertreterin, die inzwischen der Mutter gegenübersteht, wird es in diesem Moment ganz warm, und Ruhe kehrt in die Aufstellung ein.
    Nun löst Christina ihr Double ab und übernimmt ihre eigene Position. Als sie ihrer Tante in die Augen schaut, ist ihre Angst verschwunden. Auf Anregung der Therapeutin verneigt sie sich vor ihrer Tante und sagt zu ihr: »Liebe Tante, ich achte dein Schicksal.« Christinas vergessene Tante erhält also einen guten Platz, ihre Bedeutung in der Familie wird wieder gesehen. Jetzt fällt es Christina leichter, sich auch ihrer Mutter zuzuwenden. Sie schaut in deren Augen und spricht sie an: »Liebe Mama, ich bin deine Tochter.«
     
    Wie ist so eine Verbindung möglich? Was 1945 in dieser Familie geschah, war für alle eine Katastrophe. Doch hatten die Eltern der Mutter, die mit Mühe ihr eigenes Leben und das ihrer anderen Kinder retteten, damals keine Kraft und sicherlich auch Scheu davor, mit ihren Kindern über diesen schrecklichen Verlust zu reden. Jeder blieb allein mit seiner Trauer. Als kleines Mädchen hat Christinas Mutter den Schmerz, die Angst, die Verzweiflung gespürt, sie aber ebenfalls verdrängt. Erwachsen geworden, war auch sie froh, nun in Frieden zu leben und sich eine sichere Existenz aufzubauen. Die Verletzung, die tief sitzenden Gefühle waren scheinbar vergessen.
    Möglicherweise wurden bei der Mutter die Erinnerung an die kleine Schwester und alle mit dem Verlust verbundenen Gefühle während der Schwangerschaft mit Christina wieder wach. Woran sich die junge Mutter unbewusst erinnerte, wurde dann von der Tochter intensiv gespürt. Denn je jünger ein Mensch ist, desto offener und aufnahmefähiger ist seine Seele. Dies wäre eine mögliche Erklärung, wie das nicht verarbeitete Trauma, durch das die Schwester vergessen wurde, nun in der nächsten Generation weiterwirkt. Ebenso wäre denkbar, dass die Mutter unbewusst Gefühle für ihre neugeborene Tochter entwickelte, die ursprünglich ihrer kleinen Schwestergalten, und darüber ein Kontakt zu der Tante entstand. Entsprechend wäre auf diesem Weg auch eine Identifizierung mit Personen der väterlichen Linie erklärbar.

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