Familienaufstellungen
Familienaufstellungen zeigen, dass es solche unbewussten Verbindungen gibt, doch bis heute konnte nicht endgültig ergründet werden, wie sie zustande kommen.
→ Nachfolge
Stirbt ein Familienmitglied früh, ist zu beobachten, dass meist ein Geschwister oder ein Kind diesem in den Tod nachfolgen will. Beispiel: Ein junger Soldat fällt im Krieg, wenige Jahre später nimmt sich der jüngere Bruder das Leben. Aus der Suizidforschung ist bekannt, dass ein erhöhtes Risiko bei weiteren Angehörigen besteht, wenn bereits jemand in der Familie einen Suizid begangen hat. Diese Dynamik ist in Familienaufstellungen ganz deutlich sichtbar. Nachfolgende Personen sagen spontan, dass sie die Nähe zu der bereits verstorbenen Person suchen. Steht beispielsweise der zuerst Verstorbene am Rand des Familiensystems oder ist sein Platz anfangs unbesetzt, weil er vom Aufstellenden nicht erwähnt wurde, schaut der Nachfolgende dorthin. Eine derartige Nachfolge lässt sich lösen, indem der später Geborene sich vor dem Schicksal des Frühverstorbenen verneigt und dieser einen Platz in Ehren erhält – das bedeutet, dass der Frühverstorbene einen guten Platz in der Aufstellung und damit im Herzen des Aufstellenden bekommt.
▶▶ Beispiel: Antonia (35) fühlt sich leer und spürt wenig Lebensfreude. Sie lebt allein. Als Antonia 18 Jahre alt war, nahm sich ihre Mutter das Leben. Ein Jahr später verunglückte ihr älterer Bruder bei einem Verkehrsunfall tödlich.
In der Familienaufstellung stellt Antonia den Bruder nahe zur Mutter, ihr Double positioniert sie neben ihrem Bruder. Den Vater platziert sie neben der Mutter. Alle stehen sehr eng beieinander. Der Stellvertreter des Bruders sagt, er suche noch mehr Nähe zur Mutter. Antonias Double spürt den Impuls, den Bruder halten zu wollen, was sie enorm anstrengt.
Als sie merkt, dass das nicht geht, will sie ihm nachfolgen. Die Dynamik in der Aufstellung spiegelte Antonias Leben wider. Als ihr Bruder gestorben war, wehrte sie sich längere Zeit dagegen, dies zu realisieren. Später litt sie an Depressionen, und auch heute treten in größeren Abständen Phasen auf, in denen sie sich das Leben nehmen will.
Um diese Nachfolge zu lösen, bringt der Therapeut Antonia mit ihrem Bruder in Kontakt und bietet ihr den zentralen Satz an: »Lieber Bruder, du bist tot, ich lebe noch eine Weile, dann sterbe ich auch.« Antonia spürt nochmals den Schmerz, dann wird ihr Herz weit, und sie empfindet Wärme und Liebe für ihren Bruder. Danach geht sie zu ihrer Mutter. Dies fällt ihr wesentlich schwerer. So viel Wut und Verletzung kommt in ihr hoch, die sie hier erstmals ausdrückt, was sie sich bislang verboten hatte. »Warum hast du mich verlassen, Mama?« Nachdem sie ihren Schmerz ausgesprochen hat und ihrer Mutter fest in die Augen sieht, kann sie sagen: »Liebe Mama, ich verneige mich vor deiner Entscheidung und vor deinem Schicksal. Du bleibst immer meine Mutter und ich bleibe immer deine Tochter.«
→ Übernahme
Hier übernimmt ein (oft schon erwachsenes) Kind das Schicksal eines Elternteiles, der in einer Nachfolge steht. Hellinger beschreibt die systemische Dynamik so: »Lieber ich als du.« Wenn die Mutter bzw. der Vater akut oder verdeckt suizidgefährdet ist, dann wird ein Kind aus Liebe krank. Lieber »opfert« es sein Leben, als mit anzusehen, wie Vater oder Mutter stirbt. Das Kind wird selbst todkrank oder spielt mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Auch wenn das Kind nie etwas über Todeswünsche der Mutter oder des Vaters gehört hat, spürt es die latente Suizidgefahr und bringt sich durch Krankheit oder Unfall in Gefahr. Die Dynamik »Lieber ich als du« zeigt sich ebenfalls, wenn ein Kind die Strafe für einen Elternteil übernimmt, der durch Mord seine Zugehörigkeit zum Familiensystem verspielt hat.
Die Übernahme kann sich auflösen, sobald der Aufstellende klar zwischen seinem Leben und dem Leben der Person, die das Systemverlassen möchte oder sollte, unterscheidet und sagt: »Liebe …, auch wenn du gehst, ich bleibe.« Wird die Aufopferung (seitens des Kindes) bewusst gemacht, verliert sich die geheimnisvolle Wirkung derartiger Übernahmen.
Familienaufstellungen üben vor allem wegen der Aufdeckung solcher tiefer gehenden Verstrickungen eine geradezu magische Anziehungskraft auf Menschen aus. An dieser Stelle sei allerdings betont, dass nicht jede Familienaufstellung zu Aufsehen erregenden Neuentdeckungen führt – und das ist gut so, denn gerade diese
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