Familienbande
Er war immer so grob und ungehobelt. Aber als sie in Gefahr schwebte, war er sofort da um ihr zu helfen. Als wäre sie ein unerwünschtes Geschenk von einer geliebten Person, das man nicht umtauschen konnte, das aber auch nicht kaputt gehen durfte, weil derjenige, von dem das Geschenk kam, sonst enttäuscht gewesen wäre. Die Frage war nur, wer in dieser Geschichte die geliebte Person sein mochte.
„Alles in Ordnung, Laney?“, fragte Darrek leise, sodass die anderen es nicht hören konnten.
Er hatte sie am Strand abgesetzt und stützte sie immer noch mit einem seiner kräftigen Arme.
Laney gab ein Brummen von sich und öffnete unwillig die Augen. Auch wenn Darrek so ziemlich der letzte Mann war, von dem sie im Arm gehalten werden wollte, so war er doch wenigstens warm. Sie fror unheimlich und zitterte am ganzen Körper.
„Wir müssen sie trocken kriegen“, bemerkte William mit der ohnmächtigen Liliana auf dem Arm.
„Wie geht es Lil?“, hakte Darrek nach, obwohl es ihn eigentlich nicht interessierte.
„Sie wird noch eine Weile schlafen. Hoffentlich lange genug, um ihren Verstand zurückzubekommen.“
„Wenn du solange warten willst, kannst du sie genauso gut gleich umbringen“, schnaubte Darrek und schüttelte den Kopf. „Ich verstehe das einfach nicht. Akimas Gabe funktioniert so komplex. Was hat den stillen Befehl ausgelöst?“
„Wort …“, flüsterte Laney und erzitterte dann wieder.
„Da könnte sie recht haben“, bestätigte William. „Es war wahrscheinlich ein bestimmtes Wort, auf das sie reagiert. Ich bin mir nur nicht sicher, welches …“
„Dünkel“, brachte Laney mühsam hervor. „Weiß nicht mal … was das ist …“
William machte ein erstauntes Gesicht.
„Sie kennt das Wort ‚Dünkel‘ nicht?“, fragte er in Darreks Richtung und dieser zuckte mit den Schultern.
„Das Wort verwendet man in diesem Jahrhundert kaum noch, Will. Ich glaube, inzwischen sagt man eher Überheblichkeit, Selbstüberschätzung oder Anmaßung.“
„Nun gut. Das war mir nicht bewusst. Es könnte also durchaus das passende Wort sein“, gab William zu. „Jetzt müssen wir uns aber erst mal um Samantha kümmern. Annick, Alain. Nehmt doch bitte mal Lady Liliana und bringt sie so weit wie möglich von hier fort. Falls sie aufwacht, solltest du, Annick, sie mit deiner Gabe daran hindern können, wieder zu Samantha zurückzulaufen. Darrek und ich bleiben hier.“
Annick und Alain kamen der Aufforderung sofort nach. Sie nahmen William Liliana ab und verschwanden mit ihr in Richtung Landesinnere.
Als sie außer Sicht waren, wandte William sich Darrek und Laney zu.
„Sie ist ganz kalt“, stellte Darrek besorgt fest und rubbelte dabei über Laneys Arme.
„Sie ist gebissen worden und hat viel Blut verloren“, erwiderte William, als würde das alles erklären. „Das Gift schwächt sie genauso wie der Blutverlust. Sie braucht dringend etwas zu trinken und Wärme. Wir haben aber weder Menschenblut parat, noch die Möglichkeit ein Feuer zu machen. Immerhin haben wir ja nicht den weiten Weg auf uns genommen, nur um die Aufmerksamkeit des Feuerteufels sofort auf uns zu lenken.“
„Was schlägst du vor?“
„Sie braucht warmes Blut, Darrek“, bekräftigte William. „Mein Blut wäre für sie aber absolut ungeeignet. Ich denke, du kannst dir schon denken, was ich vorschlage.“
Darrek sah Laney an, die immer noch zitternd in seinen Armen lag und blickte dann wieder zu William. In seinen Augen lag Entschlossenheit und eine unausgesprochene Bitte um Privatsphäre.
William verstand den Wink sofort. Darrek war bereit, Laney von seinem Blut zu geben, aber er hatte keine Lust auf Publikum. William erhob sich geschmeidig und klopfte seinem ehemaligen Schüler aufmunternd auf die Schulter.
„Jedes Versprechen birgt Verantwortung“, stellte er fest. „Aber glaub mir, Darrek. Sie ist es wert.“
Darrek nickte und sah zu, wie William ebenfalls den Strand verließ. Erst als er sich wirklich allein mit Laney wähnte, zog er sein nasskaltes T-Shirt aus und zog die junge Frau auf seinen Schoß. Seine Haut strahlte Hitze aus und Laney suchte instinktiv nach seiner Wärme. Mit aller Kraft klammerte sie sich an ihm fest. Sie zitterte immer noch, aber inzwischen weniger der Kälte wegen, sondern weil ihr gesamter Körper durch das Gift schmerzte.
Ohne noch mehr Zeit zu vergeuden, zog Darrek seinen Dolch aus der Messerscheide an seinem Gürtel und schnitt damit einmal über sein Handgelenk.
„Was …
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