Familienbande
sie solle sich gefälligst zusammenreißen. Er war nicht grausam, aber er ging auch nicht behutsam mit ihr um. Wobei sie ihm jedoch hoch anrechnen musste, dass er sie nicht ins Gesicht schlug. Er meinte, dass man so ein schönes Gesicht nicht deformieren dürfte, während die blauen Flecken an Laneys Armen und Beinen gar nicht so schlimm seien. Bei jedem weiteren Schlag oder Tritt, der sie traf, kniff Laney die Augen zusammen und versuchte etwas daraus zu lernen. Sie hatte immer gewollt, dass die Leute aufhörten, sie wie eine Porzellanpuppe zu behandeln. Und jetzt, wo es jemand tat, hatte sie kein Recht dazu sich zu beschweren.
Nach circa fünf Stunden gab sie schließlich auf. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Herz dieses Herumgehüpfe keine Minute länger mehr mitmachen würde, und war einfach zu erschöpft, um sich weiter von William anstacheln zu lassen.
„Stopp“, rief sie. „Bitte. Ich kann nicht mehr. Lassen wirʼs gut sein für heute, in Ordnung?“
Eine Weile passierte gar nichts und Laney befürchtete schon, dass William sie noch ein letztes Mal angreifen würde, aber das tat er nicht. Langsam wurde er wieder sichtbar und lächelte sie zufrieden an.
„Siehst du?“, fragte er. „Genau das wollte ich erreichen. Du hast heute bereits große Fortschritte gemacht. Sehr gut. Morgen werden wir doppelt so hart arbeiten.“
„Morgen?“, fragte Laney erschrocken und zitterte bei dem Gedanken. Wie um Himmels willen sollte sie denn morgen schon wieder so eine Tortur durchhalten?
„Na sicher“, gab William zurück. „Oder hast du irgendetwas Besseres zu tun?“
Laney unterdrückte mühsam ein Stöhnen. Im Grunde genommen hatte sie ja wirklich nichts Besseres zu tun und es war wahrscheinlich immer noch besser kämpfen zu üben, als den ganzen Tag nur herumzusitzen und aufs Meer hinauszublicken. Das konnte ein paar Stunden lang ganz nett sein, aber dann wurde es ziemlich langweilig. Dennoch wäre ihr ein Tag Pause auch angenehm erschienen.
Laney wischte sich den Schweiß vom Gesicht und setzte sich auf eine der Treppenstufen, die zum oberen Teil des Schiffes führten. William folgte ihrem Beispiel, obwohl er kein bisschen aus der Puste war.
„Du hast dich gut gehalten, Prinzessin“, bemerkte er dann und lächelte Laney an. „Nicht jeder Anfänger hätte so lange weitergemacht.“
Laney lächelte zurück und freute sich über das Lob.
„Dein Vater hatte nie deinen Ehrgeiz.“
Sofort gefror Laneys Lächeln auf ihrem Gesicht und sie wurde bleich.
„Mein …“
Panisch sah sie sich nach Darrek und den anderen um.
„Keine Sorge. Darrek weiß es, aber er wird es für sich behalten. Und die anderen haben keine Ahnung. Zumindest glaube ich das nicht.“
William blieb ganz ruhig und die anderen machten nicht den Eindruck, als würden sie lauschen.
„Woher …“
„Deine Augen“, erklärte William. „Du hast Jasons Augen. Und Karas Schönheit. Ich habe sie beide gekannt und du siehst ihnen sehr ähnlich. Richtig überzeugt hat mich aber erst dein Kampfstil. Du bist sehr besonnen für einen jungen Warmblüter und das war dein Vater auch immer. Nur, wie gesagt, Jason hatte weniger Durchhaltevermögen.“
Laney schwieg. Sie wusste nicht, was sie auf diese Eröffnung erwidern sollte.
„Darrek hat sie übrigens auch beide gekannt.“
„Woher? Mein Vater hat nie über ihn gesprochen.“
„Die beiden sind nicht mehr besonders gut aufeinander zu sprechen. Jason und Darrek waren gemeinsam in der Grundausbildung. Sie hatten bei mir Kampfunterricht, als sie noch jung waren. Ich kann mich aber daran erinnern, dass sie sich trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere gut verstanden haben. Darrek hat sich damals viel auf seine Herkunft eingebildet und war daher nicht besonders beliebt bei den anderen Jungvampiren. Jason hatte aber immer ein Talent dafür, Darreks beste Seiten zum Vorschein zu bringen.“
Laney nickte. Ja, dieses Talent kannte sie nur zu gut. Es wunderte sie jedoch, dass Jason und Darrek gut miteinander ausgekommen waren. Sie selber wusste schließlich überhaupt nicht, was sie mit dem unnahbaren Anführer anfangen sollte. Es gab jedoch etwas an Williams Äußerung, das sie irritierte.
„Du sagtest anfangs. Haben sie sich danach nicht mehr so gut verstanden?“
„Nein. Wohl nicht. Aber das ist wirklich nichts, worüber ich mit dir reden sollte“, wich William aus.
„Warum nicht? Was ist denn passiert.“
„Nun ja. Man könnte sagen, dass Jason Darrek etwas weggenommen hat, das
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