Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
schnell abgeschlossen wurden. Denn die Ermittlungen hätten unweigerlich zum Kinderhandel in Spanien geführt, von dem Andrea Tschanz vermutlich mehr wusste, als sie mir gegenüber zugegeben hatte.
»Und die Geschichte, wie sie an die Hütte gelangt sind, stimmt die?«
»Ansatzweise. Nach dem Anruf meines Mannes wusste ich, dass Grüninger ein Chalet in Gstaad hatte, und begann, ihn zu beobachten. Schnell fand ich heraus, dass er auch dieses kleine Häuschen besaß. Für meine Zwecke war das Objekt tatsächlich ideal, allein schon wegen der Lage. Ich gab mich als Kaufinteressentin aus. Zuerst wollte er nicht auf den Handel eingehen, denn er hing sehr an der Hütte, doch wie gesagt, kann ich sehr überzeugend sein. Als wir dann hier oben ankamen, war es kein großes Kunststück mehr, einen alten Mann wie ihn in meine Gewalt zu bringen. Das Unterzeichnen des Kaufvertrags war – nach einer kleinen Preisanpassung zu meinen Gunsten – schließlich nur noch Formsache, ich schickte ihn gleich am nächsten Tag an seine Adresse nach Bern.«
Wo ihn Frau Tschanz nach dem vermeintlichen Freitod ihres Mannes im entsprechenden Ordner abgelegt hatte.
Ruth Berger wies zum Fenster. »Sehen Sie, das Häuschen liegt einfach perfekt, mit direkter Sicht auf das Chalet. So hätte Grüninger seinen Sohn jeden verdammten Tag gesehen, ohne dass er mit ihm in Kontakt hätte treten können.«
»Hätte Sie das mit Genugtuung erfüllt?«
»Ja, und wie!« Sie stieß ein raues Lachen aus. »Aber dann entwickelten sich die Dinge in eine unvorhergesehene Richtung. Am Anfang fiel mir nichts auf, er war, wie ältere Männer eben sind. Erst mit den Wochen bemerkte ich, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Er schien keineswegs verängstigt, wiederholte stattdessen die immer gleiche Frage. Wo Jonas sei, wollte er wissen, was ich zuerst ganz normal fand. Doch selbst nachdem ich ihm die Antwort gegeben hatte – ich ließ ihn durchs Fernglas zum Chalet gucken –, fuhr er mit der Fragerei fort. Er verlegte Sachen, fand sie nicht mehr und wurde dann wütend auf mich. Da ahnte ich erst, wie krank er wirklich war. Ich weiß heute noch nicht, ob er überhaupt ahnt, was ich ihm antue.«
»Was hätten Sie mit ihm gemacht, wenn er nicht krank gewesen wäre? Sie hätten ihn ja kaum jahrelang in ein Zimmer sperren können.«
»Wieso nicht? Ich hatte eine Kette gekauft, dieselbe wie für den Hund. Sie hätte genau bis vors Fenster gereicht.«
Entsetzt sah ich sie an, doch sie nickte nur bestätigend. »Aber die benutzte ich nur ganz am Anfang. Jetzt geht er nirgendwohin. Er weiß nicht einmal mehr, dass er einen Sohn hat. Wenn ich ihn darauf aufmerksam mache, dass sich Jonas vor dem Chalet aufhält, zeigt er nicht die geringste Reaktion.«
Behutsam legte sie ihren Arm um Grüningers Hüfte und half ihm auf.
»Jetzt gehen wir ein bisschen raus, Herr Grüninger«, sagte sie viel zu laut. »Das wird Ihnen guttun.«
Mit wackeligen Beinen trippelte Grüninger auf mich zu und ich trat zur Seite, um ihn durchzulassen. Beruhigend sprach die Berger auf den alten Mann ein, während sie ihn in Richtung Hüttentür lenkte, und er murmelte schwer atmend Antworten, die ich nicht verstehen konnte.
»Was werden Sie jetzt unternehmen?«, erkundigte sie sich, nachdem wir uns gemeinsam auf das Bänkchen vor dem Haus gesetzt hatten. »Werden Sie mich der Polizei melden?«
Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte.
Ruth Berger würde Grüninger garantiert nichts antun. Die beiden waren hier oben unentdeckt eine symbiotische Beziehung eingegangen. Sie hatte einen Lebensinhalt gefunden, der sie vor dem totalen Absturz bewahrte, und er eine Pflegerin, die ihn umsorgte.
Andrea Tschanz hingegen war längst einen Schritt weiter, das überraschende Auftauchen ihres verstorben geglaubten Mannes war kaum etwas, das sie begeistert hätte aufjubeln lassen. Und Sánchez landete wohl im Gefängnis, wenn alles korrekt ablief. Erfuhr er, dass sein ehemaliger Geschäftspartner noch lebte, würde er nur erneut sein Killerkommando ausschwärmen lassen.
»Worüber denken Sie nach?«, erkundigte sich Ruth Berger mit bangem Blick.
»Ich werde jetzt nach Hause fahren«, sagte ich mit fester Stimme.
Sie warf mir einen prüfenden Blick zu und lehnte sich erleichtert zurück. Ihre Augen bekamen einen feuchten Glanz und gerührt beobachtete ich, wie Grüninger seine zittrige Hand in ihre schob.
»Aber ich werde Noemi von Ihnen erzählen.«
Reglos ließ sie ihren Blick über die umliegenden
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