Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
von sich preisgegeben hatte, wollte ich ihr zeigen, dass ich sie ernst nahm. Denn irgendwie mochte ich sie.
»Okay, ich komme morgen mal vorbei und gucke, was ich tun kann.« Ich ließ mir die Adresse geben. Beste Wohnlage natürlich, wie vermutet.
»Aber versprich dir nicht allzu viel davon. Ich kann keine Wunder vollbringen.«
Es war, als schiene der Mond plötzlich heller, die dunklen Schatten in Noemis Gesicht wichen. »Du bist echt gar nicht so übel. Für einen indischen Detektiv, meine ich!«
Ich grinste schief. Immerhin etwas hatte ich heute richtig gemacht.
Donnerstag
Katzenartig, so hatte wohl die Forderung an den Schönheitschirurgen gelautet, bevor sich Irene Winter unters Messer gelegt hatte. Am Abend zuvor war mir das aufgrund der Vielzahl ähnlich modellierter Frauengesichter nicht so sehr aufgefallen, doch als sich jetzt ihre Augen misstrauisch zu schmalen Schlitzen verengten, zeigte sich die beabsichtigte Wirkung deutlich. Ihre Haut war über der Stirn so gestrafft, dass sie wächsern wirkte, die Lippen voll, die Brüste fest, ihre Statur gertenschlank. Irgendwie kam sie mir zusammengeschnürt vor.
»Sind Sie nicht der Kellner von gestern?«
Ich bejahte, was keineswegs ein erleichtertes Hallo auslöste. Vielmehr wurde der ohnehin schon kühle Blick noch eine Spur abfälliger. Schweigend warteten wir auf Noemi, nach der Frau Winter widerstrebend gerufen hatte. Danach war sie vor dem Dielendurchgang stehen geblieben, als befürchtete sie, ich würde in einem unachtsamen Moment an ihr vorbeischlüpfen und in den Tiefen des modernen Wohnhauses verschwinden. Um Kabel anzunagen vermutlich oder gar zu nisten, so wie sie mich ansah.
Platz dafür hätte das Haus sicher geboten. Ein Klotz aus Glas und Beton mit geradezu epischen Fensterfronten, die einen unverbauten Blick auf den Zürichsee erlaubten, im Innern – wie bereits von außen nicht zu übersehen war – die üblichen Designermöbel, dazu Kunst, Bilder und Skulpturen. Durchaus stilvoll, aber nicht besonders originell. Was Leute mit viel Geld und wenig eigenem Geschmack halt so aus dem Katalog zusammenstellten.
Kaskadengleich fielen Sonnenstrahlen über die Seitenwände des Wohnzimmers, und als Noemi endlich erschien, sah es aus, als trete sie aus einer Fontäne hellen Lichts. Goldküste. Die umgangssprachliche Bezeichnung des rechten Zürichseeufers bezog sich an einem Tag wie diesem nicht nur auf die finanzielle Situation der meisten seiner Bewohner.
»Du bist gekommen!«, strahlte Noemi und Frau Winters Lippen kräuselten sich.
»Ich halte mein Wort.«
»Erstaunlich!«
Wir grinsten uns an, während sich Frau Winter nicht von der Stelle rührte. Eine unangenehme Pause entstand.
»Könntest du deine Mutter offiziell mit diesem Kellner bekannt machen, wenn du dich schon ausgerechnet an deinem Geburtstag mit ihm verabreden musst?« Frau Winter wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen ihrer Tochter zu, die einen knappen Kopf größer war als sie und etwa doppelt so schwer.
Rasch kam ich Noemi zuvor und berichtigte, womit ich meine Chapatis normalerweise verdiente, worauf Irene Winters Blick beunruhigt flackerte: »Ein Privatdetektiv? Geht es um diese Blumen?«
»Welche Blumen?«
»Hat sie Ihnen nichts davon erzählt? Vom Strauß, den sie vor zwei Tagen auf der Treppe vor dem Hintereingang gefunden hat? Sie redet ja von nichts anderem mehr!«
Ratlos sah ich Noemi an.
»Doch!«, bestätigte diese etwas zu schnell. »Es geht um die Blumen, die ich gestern erwähnt habe. Ich will wissen, wer dahintersteckt.«
»Sie hofft immer noch, dass es einer der Jungen aus ihrer Klasse ist.« Die Winter lachte gekünstelt.
»Das ist nicht wahr!«
»Aber natürlich! Wie heißt er noch? Für den du so schwärmst … ach, der Name ist mir entfallen … Stefan, nicht?«
Noemi lief puterrot an. »Steven! Der hat nichts damit zu tun!«
»Und wenn doch?«
»Bislang hat er sich jedenfalls nicht dazu bekannt!«, fuhr Noemi sie trotzig an.
»Dazu bekannt – das klingt ja wie bei einem Attentat! Es sind doch bloß ein paar Blumen!«
Wortlos drehte sich Noemi um und stürmte davon, während ich einen wissenden Erwachsenenblick mit Frau Winter austauschte, bevor ich ihrer Tochter durchs Wohnzimmer auf die großzügige Terrasse folgte.
Der Wohnsitz der Winters war an einen steilen Hang gebaut und bot einen spektakulären Blick auf den Zürichsee und das gegenüberliegende Ufer.
»Blumen, hm?«
»Es ist nichts«, murmelte sie störrisch.
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