Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
mit einem Nagelstudio und einem Solarium zusammengeschlossen waren.
Dragana staubsaugte gerade die Schlafzimmer im oberen Stock und wehrte heftig ab, als ich mich erkundigte, ob sie vor zwei Tagen etwas Ungewöhnliches beobachtet hätte.
»Du warst doch um sieben hier, ist dir wirklich niemand begegnet?«, hakte Noemi nach.
Dragana verneinte. »Ich schon um halb sechs anfange mit Arbeit!«
»Oh! Das wusste ich nicht!«, machte Noemi.
»Ja.«
»Sie kommen mit dem Auto?«, mischte ich mich ein. Dragana sah mich an, als sei ich geistig zurückgeblieben.
»Erste Zug ich nehme von Feldbach, zwanzig nach fünf in Bahnhof, dann zu Fuß Berg hoch. Viel streng!« Sie nickte zur Betonung vorwurfsvoll.
»Ist Ihnen vielleicht jemand entgegengekommen?« Ich vermied es tunlichst, mich ihrer Sprache anzupassen, wie das oft geschah, wenn sich Einheimische mit Ausländern unterhielten und dabei jegliche Regeln zu Grammatik und Satzbau aushebelten. ›Sie diesmal sauber putzen Badezimmer! Keine Flecken hier, Sie verstanden? Sonst meine Mann nix zahlen Geld!‹
»Nein, nix. Nur Auto parkiere vorne an Kurve.«
»Was für ein Auto?«
»Ich nicht wissen, weiß.«
»Ein weißes Auto?«
»Nicht Auto. Mehr Lastwagen, aber kleine.«
»Ein Lieferwagen?«
»Vielleicht. Mit blaue Name.«
»Blaue Schrift? Was stand darauf?«
»Etwas italienisch.«
»Ein weißer Lieferwagen mit blauem Schriftzug in italienischer Sprache war vorne in der Kurve geparkt?«, fasste ich zusammen.
Dragana hob den Finger. »Und Bär.«
»Ein Bär?«
»Blauer Bär. Lacht.«
»Der war ebenfalls auf dem Wagen abgebildet?«
Dragana nickte zufrieden. »Aber Auto wegfahren, wenn ich komme.«
»Haben Sie eine Autonummer erkannt?«
»Nein, ich nicht schauen.«
»Haben Sie gesehen, wer darin saß?«
»Nein. Nur Mann.«
»Wie sah er aus?«
»Wie Mann.«
Ich stöhnte innerlich und fragte mich, weshalb Immigranten beim Grenzübertritt nicht längst mit einem kostenlosen Deutschkurs willkommen geheißen wurden.
»Können Sie ihn beschreiben?«
»Ich nicht genau gesehen. Ich schauen Straße, nicht Mann. Ich habe schon Mann zu Hause. Schade.« Sie lachte verlegen.
»Sie haben nichts erkennen können?«
Sie überlegte. »Altmann. Dünn, aber graue Haare, viel, glaube. Aber war bitzeli dunkel. Und ich schauen Weg.«
Ich wandte mich an Noemi: »Ein hagerer, alter Mann mit dichtem grauen Haar in einem weißen Lieferwagen, auf dem ein lachender blauer Bär zu sehen war und etwas auf Italienisch geschrieben stand. Sagt dir das was?«
»Nein, keinen Plan.«
»Hatte der Mann Blumen dabei?«, erkundigte ich mich bei Dragana.
»Ich arbeiten, keine Zeit für Blumen. Blumen für junge Frau. Ich nicht jung, schon über fünfzig!«
»Also keine Blumen?«
»Schade.«
Ich deutete das als Nein. Wenn Dragana um halb sechs im Haus der Winters angekommen war, beschränkte das den Zeitraum, in dem der Strauß hingelegt worden war, auf die fünfundvierzig Minuten zwischen viertel vor fünf und halb sechs.
Noch wusste ich nicht, ob der Mann im weißen Lieferwagen wirklich wichtig war, aber ich hatte immerhin einen ersten Hinweis.
»Wann stehen Sie normalerweise auf?«
Ich hatte Noemi gebeten, mich zu ihrer Mutter zu führen, damit ich ihr ebenfalls ein paar Fragen stellen konnte.
Frau Winter hatte es sich auf einem weißen Ledersofa bequem gemacht und die Beine angezogen, als wir das Wohnzimmer betraten. Der Raum erinnerte in seiner Weiträumigkeit an einen Hangar und wirkte auf mich genauso kühl. Die Winter, die ein helles, ägyptisch anmutendes Kleid mit Goldbordüren zu ebenfalls goldenen Sandaletten trug, nippte an einem fischig nach Algen duftenden Grüntee und schien keineswegs an einer Kooperation interessiert.
»Was geht Sie das an?«, fauchte sie auf meine Frage zurück und ihre Katzenaugen glühten unheilvoll.
»Ich will herausfinden, wer Noemi seit fünf Jahren jeweils am achtzehnten Juni Blumen hinlegt. Aber das wissen Sie ja eigentlich schon.«
»Das Kind ist komplett besessen von der Idee! Dabei steckt garantiert nichts dahinter.«
»Weshalb sind Sie sich da so sicher?«
»Weil …« Ihr Blick schweifte zu Noemi und wieder zurück zu mir.
… weil Noemi nicht die Art von Mädchen war, dem verliebte Jungs Blumen hinlegen, vervollständigte ich in Gedanken ihren Satz. Und weil Noemi überhaupt nicht so war, wie sich eine Goldküstenmutter wohl ihre Tochter wünschte. Nichts Vorzeigbares. Sie besuchte eine Privatschule, wie sie erwähnt hatte.
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