Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
beobachtet, wie der Fahrer Oberschwester Maria vor dem Hauptgebäude des Spitals aussteigen ließ, bevor er das Fahrzeug wendete und vor die Notaufnahme nebenan fuhr. Ich harrte im Schatten des Vordachs aus, bis er, von einem Kollegen begleitet, im Laufschritt herausgeeilt kam. Mit entschuldigender Miene hielt ich ihn an und erklärte ihm, dass mich die Oberschwester schicke, sie habe ihre Tasche bei Lopez vergessen.
Unmutig verzog er das Gesicht, doch als ich ihm anbot, selbst dorthin zu fahren, wirkte er erleichtert und erklärte mir hastig den Weg, bevor er in den Wagen stieg und mit heulender Sirene davonbrauste.
Mein Hemd klebte am Rücken, Schweiß lief mir in Rinnsalen über Stirn und Arme. Der Straßenbelag war in der glühenden Hitze weich geworden und der Himmel hatte alle Farbe verloren. Gleißend wölbte er sich über mir, die Sonne knallte mir erbarmungslos ins Gesicht.
Der Verkehr bewegte sich jetzt immerhin stockend vorwärts. Gerne wäre ich in ein Taxi umgestiegen, doch es war weit und breit keines zu entdecken. Entweder frönten die Chauffeure gerade einer gewerkschaftlich verordneten Siesta oder die Außenbezirke galten tagsüber als wenig lukratives Gebiet. Angesichts der Tatsache, dass sich zurzeit ganze Agglomerationsfamilien ins eigene Auto quetschten, um damit systematisch die Straßen zu verstopfen, tendierte ich eher zur zweiten Annahme.
Ich überprüfte meine Position auf dem Smartphone und bog dann links ab, um ein staubiges Sträßchen hochzustrampeln, das in einer weiten Schlaufe um einen künstlich angelegten Hügel führte. Völlig außer Atem gelangte ich oben an und gönnte mir eine kurze Verschnaufpause. Der Zeitpunkt wohl, an dem mancher Profifahrer verstohlen zu etwas Aufmunterndem gegriffen hätte, mir stand leider nichts Derartiges zur Verfügung.
Die Erde, aus der die Anhöhe aufgeschüttet war, sah staubtrocken aus und war hell wie Mehl, eine Wüstenlandschaft ohne Leben. Ich blickte auf hässliche Fabrikgebäude und von endlosen Parkplätzen umgebene Einkaufszentren, die man mitten in die Einöde hingeklotzt hatte. Wie verwaiste Beobachtungsstationen auf einem unwirtlichen Planeten sahen sie von hier oben aus.
Eine erfrischende Brise verschaffte mir etwas Kühlung, während ich auf der anderen Seite des Hügels hinunterfuhr. Hier gab es keine Industrie oder Shoppingzentren mehr, dafür einen Golfplatz und identisch aussehende Vororthäuschen nach amerikanischem Vorbild. Alles wirkte brandneu. Noch wuchs kein Rasen aus der angetrockneten Erde in den Vorgärten, die Bäumchen und Büsche waren erst kürzlich gepflanzt worden, an den Fenstern klebten noch die Markierungen der Hersteller. Eine Geistersiedlung, die wie konzipiert war für verzweifelte Hausfrauen oder solche, die es unbedingt werden wollten.
Ich ließ die Gegend hinter mir und nach wenigen Hundert Metern änderte sich das Bild erneut. Jetzt war es nicht mehr weit bis zu meinem Ziel.
Dichte Hecken umzäunten gepflegte Grundstücke und hinter hohen Bäumen tauchten pompöse Herrenhäuser auf. Überall waren Wassersprenger in Betrieb, um das ausgetrocknete Ödland zu beleben. Im Vorbeifahren fiel mir auf, dass die Mehrzahl der Villen neueren Datums war. Der Baustil erinnerte zwar an denjenigen feudaler Landhäuser in Frankreich und Italien, doch bei genauerer Betrachtung erkannte man den Schwindel: das billige Material, die lieblos nachgeahmten Details. Aus Kunst hatte man hier Kitsch generiert, aus Stil Disneyland.
Sánchez’ Grundstück befand sich am Ende eines Wegstücks. Durch das vergitterte Tor erkannte ich eine im toskanischen Stil erbaute Villa inmitten einer weiten Grünfläche. Ein gedrungen wirkendes Haus mit weiß getünchter Fassade und großen Fenstern, das rote Ziegeldach abgeflacht. Vor dem Eingang eine Pergola, die sich unter einem von Säulen gestützten Vordach befand. Ein Laubengang verband den Haupttrakt mit einem kleineren Gebäude, er war gesäumt von Olivenbäumchen und dunkelrosa blühendem Oleander, derweil das malerische Steinhäuschen direkt neben dem Wohnhaus wohl als Garage diente.
Ich lehnte mein Rad an die efeubewachsene Backsteinmauer und konnte mir ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Ich hatte Sánchez’ Refugium entdeckt! Mo würde begeistert sein.
Aufmerksam checkte ich jeden sichtbaren Winkel des Grundstücks ab. Bevor ich es unerlaubterweise betrat, wollte ich mich versichern, dass es keine unliebsamen Überraschungen gab. Ich hob einen herumliegenden Stein
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