Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
beobachtet.
»Da war nichts illegal daran!« Der alte Mann richtete sich mühsam auf und funkelte mich wütend an.
»Zu welchem Zweck wurden dann tiefgefrorene Babyleichen im Keller Ihrer Klinik aufbewahrt? Weshalb waren Mütter überzeugt davon, dass ihre Kinder lebten, während Sie ihnen einredeten, die Kleinen seien gestorben?«
»Sie verstehen das nicht. Sie platzen hier rein und führen sich als selbstgerechter Moralist auf, dabei haben Sie keine Ahnung!«
»Dann erklären Sie es mir.«
Sánchez schnappte röchelnd nach Luft und sank wieder in den Stuhl zurück. »Wir haben nichts Unrechtes getan. Im Gegenteil: Diese Kinder hatten keine Zukunft, verstehen Sie? Erst wir haben ihnen eine ermöglicht, mit einem Leben in geordneten Familienverhältnissen.«
Mühsam stieß er die Worte aus, das Sprechen bereitete ihm offensichtlich große Mühe. »Diese Mütter, sie waren … Abschaum. Drogenabhängige, Prostituierte, kamen aus der Gosse, kaum Schulbildung. Dank uns konnten die Kleinen ihre elende Herkunft hinter sich lassen.«
»Ohne dass Sie die Mütter gefragt hatten!«
»Was glauben Sie denn, wie viele von diesen Frauen froh waren, dass sie nicht noch einen weiteren hungrigen Mund zu stopfen hatten?«
»Und die anderen? Diejenigen, die weniger glücklich waren, ein Kind verloren zu haben?« Ich konnte kaum glauben, wie überzeugt dieser Sánchez von seiner guten Gesinnung war. Er hielt sich tatsächlich für einen Wohltäter. Redete man sich eine Lüge jahrelang ein, wurde sie am Ende zur Wahrheit. »Was gab Ihnen das Recht, einfach alle geltenden Gesetze zu ignorieren?«
Ich wusste die Antwort ohnehin: Er war das Gesetz. Wer hätte ihn aufhalten sollen? Der Staat? Der steckte selbst mit drin. Die Kirche? Genauso. Wenn’s um Geld ging, hatten beide keine Skrupel.
»Verzweifelte Paare kamen zu uns, weil sie keine Kinder bekommen konnten. Dank uns kehrten sie als glückliche Familien nach Hause zurück.«
»Sie haben Babys geraubt!«
»Wir haben sie nur in gute Hände weitergegeben.«
»Sie widern mich an!« Am liebsten hätte ich auf der Stelle die Polizei alarmiert. Doch es war nicht meine Aufgabe, ihm das Handwerk zu legen.
Außerdem hielt er Informationen zurück. Saß er erst einmal in Untersuchungshaft, würde es sehr schwierig für mich, an die Akten ranzukommen.
»Wo sind die Unterlagen?«
»Es gab einen Brand …«, fing Sánchez an, doch ich unterbrach ihn harsch: »Im Hospital El Divino Niño , darüber bin ich unterrichtet. Aber was geschah mit den ganzen Nachweisen aus der Privatklinik?«
»Ich habe sie nicht.«
»Sie lügen!«
Er machte eine ausschweifende Handbewegung. »Sie dürfen gern das ganze Haus durchsuchen. Aber ich versichere Ihnen, dass Sie kein einziges Schriftstück entdecken werden.«
Alter, schlauer Fuchs. Damit konnte ich mich um Noemis willen nicht zufriedengeben.
»Doktor Grüninger hat geschworen, dass ich hier fündig würde«, flunkerte ich.
Sánchez’ Hände umklammerten die Lehnen des Rollstuhls so fest, dass die Knöchel weiß hervorstanden. »Sie haben Grüninger ausfindig gemacht? Wie das? Wo steckt dieses Schwein?«
Ich setzte eine undurchdringliche Miene auf. »Was glauben Sie?«
»Ich weiß nur, dass er sich mit dem gesamten Gewinn unserer Klink aus dem Staub gemacht hat. Das Letzte, was ich von ihm hörte, war, dass er sich in Bern unter falschem Namen eine Wohnung gekauft hat.«
»Ganz mittellos hat er Sie ja nicht zurückgelassen.«
»Ich hatte selbstverständlich meine persönlichen Ersparnisse. Das Geld auf dem gemeinsamen Konto war aber für eine neu zu eröffnende Klinik gedacht gewesen. Das hat er Ihnen wahrscheinlich nicht erzählt, dieser verdammte Ladrón?«
»Sie hatten vor weiterzumachen?« Dieser Mann war noch abgebrühter, als ich angenommen hatte.
»Natürlich, was dachten Sie denn? Ich lasse mir doch nicht von einer Journalistenschlampe das Geschäft vermiesen!«
»Geschäft?«
Sánchez riss die Augen auf. Er hatte auch bemerkt, dass er sich soeben verplappert hatte, und versuchte, sich hastig rauszureden: »Was eine Klinik schlussendlich ist: nichts anderes als ein Geschäft. Bei dem Gutes für die Menschen getan wird.«
»Klar. Deshalb haben Sie dieses ›Geschäft‹ auch über Nacht aufgegeben, als Ihnen diese Journalistin zu sehr auf die Pelle gerückt ist.«
»Sie hat unhaltbare Verleumdungen verbreitet, sodass wir es mit Hinblick auf unsere gut betuchte Klientel für klüger erachteten, die Klinik zu
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