Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
auf, mit dem ich mehrmals gegen die Gitterstäbe des Eingangstors klopfte, und hoffte, dass man den Krach in der Villa drin nicht hören konnte. Doch selbst wenn: Seit der wenig erfreulichen Erfahrung mit Kampfhunden bei meinem allerersten Fall verspürte ich wenig Lust auf eine erneute Konfrontation mit diesen blutrünstigen Biestern. Ich lauschte noch einen Moment lang auf ein verräterisches Halsbandrasseln, dieses rasch herannahende Hecheln, das mir immer noch das Blut in den Adern gefrieren ließ. Zu meiner Erleichterung war aber nichts zu hören, deshalb stemmte ich mich auf der Backsteinmauer ab und schwang mich hinüber.
Geduckt rannte ich auf die Villa zu. Ich hatte mein Ziel beinahe erreicht, als mir schlagartig bewusst wurde, wie gammelig ich daherkam. Das verschwitzte Hemd, die Hosen eingestaubt, die wahrscheinlich wenig appetitanregenden Ausdünstungen. Die Radfahrt hierher hatte deutliche Spuren hinterlassen. Doch meine Möglichkeiten, mich herauszuputzen und in einen vertrauenerweckenden Schweizer Detektiv mit indischen Wurzeln zu verwandeln, waren beschränkt. Mangels Alternativen trat ich an einen der Wassersprenger heran, wusch mir behelfsmäßig den Dreck aus Gesicht und Haaren und benetzte die Arme. Danach fühlte ich mich immerhin ansatzweise erfrischt.
Ich kauerte mich hinter die blühenden Oleanderbüsche neben dem Laubengang und wartete ab. Noch hatte ich keinen ausgeklügelten Plan, wie ich Sánchez dazu bringen wollte, mir die Unterlagen auszuhändigen, doch ich vertraute auf meinen Detektivinstinkt. Ich würde dann schon das Richtige tun. Hoffte ich zumindest.
Nach etwa zehn Minuten trat eine mollige Krankenschwester aus dem Hauptgebäude und watschelte über den Gang auf das benachbarte Häuschen zu, das wohl als Unterkunft für die Angestellten diente. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Personal Sánchez beschäftigte, aber dem geringen Sicherheitsaufwand nach fühlte er sich hier ziemlich sicher. Keine Hunde, keine Kameras, bislang auch keine Bodyguards.
Ich musste es wagen. Behände stieg ich über das Geländer des Laubengangs, schlich zur Seitentür der Villa und schlüpfte hinein.
Der Korridor war mit einem marokkanischen Läufer ausgelegt. Hohe Fenster an den Querseiten der Villa und die mit Kalk behandelten Wände schufen eine helle und freundliche Atmosphäre, eine Treppe führte am Ende des Flurs in den oberen Stock. Von weiter hinten hörte ich Küchengeräusche, leise lief ein Radio. Also arbeitete nebst der Pflegerin zusätzlich einen Koch im Haus.
Geräuschlos bewegte ich mich vorwärts. Zu meiner Linken gab es zwei wuchtige Flügeltüren, die beide offen standen. Nach einem prüfenden Blick betrat ich den ersten Raum, zog die Türe zu und schloss leise hinter mir ab.
Die Fensterläden waren angelehnt, ein gedämpftes Licht erfüllte das Zimmer. Die Wände verschwanden beinahe komplett hinter den Bücherregalen aus dunklem Holz, die bis zur Decke reichten und derart mit Schmökern vollgestopft waren, dass man nicht einmal mehr Platz für ein Reclambüchlein gefunden hätte. In einer Ecke standen zwei braune Chesterfield-Ledersessel, dazwischen war ein antik aussehender Salontisch aus Rauchglas platziert. Eine grüne Banker-Lampe mit Messingfuß schmückte den Schreibtisch aus Akazienholz unter dem Fenster.
Hätte jetzt Marlon Brando mit Zigarre und Nadelstreifenanzug die Bibliothek betreten, ich wäre nicht wirklich überrascht gewesen.
»Señor Sánchez?«, sagte ich halblaut.
Der Arzt saß zusammengefallen in seinem Rollstuhl. Er schien zu dösen, wohl erschöpft von der Dialyse, sein Atem ging rasselnd, aber regelmäßig. Ich trat nah an ihn heran und betrachtete ihn eingehend. Es bestand kein Zweifel, dass der Alte vor mir Alberto Sánchez war.
Der Mann war ein Monster. Er hatte gewissenlos Familien auseinandergerissen und sich dabei selbst bereichert, kaltblütig Mütter belogen, dass ihre Kinder tot seien, und ich wusste von mindestens einem Journalisten, den er hatte verschwinden lassen. War Mónicas Vater eventuell gar nicht der Einzige, der dem Doktor in die Quere gekommen war? Der Gedanke kam mir erst jetzt. Auf jeden Fall wurde in seinem Namen weiter gemordet: Schwester Alma hatte gewusst, dass es gefährlich war, über Sánchez zu reden. Als sie es dennoch tun wollte, starb sie etwas zu plötzlich an einem angeblichen Herzstillstand. Ich hoffte, dass Mo und José Genaueres über die Art ihres Todes herausfanden und die Beweise ausreichten, Oberschwester
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