Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
zündete sich eine Zigarette an. Stumm schob er mir die Packung hin.
»Die Situation überfordert mich manchmal und ich weiß dann nicht, was ich tun soll …«
»Und wenn du dir auswärts holst, was es daheim nicht gibt?«
»Das kommt nicht infrage.«
»So kenn ich dich ja gar nicht.«
»Mit Manju ist es echt was anderes. Trotzdem fehlt mir was Essenzielles. In letzter Zeit streiten wir uns oft deswegen, manchmal sogar ziemlich heftig. Wir haben einfach ganz unterschiedliche Vorstellungen von einer Beziehung.«
»Da seid ihr nicht allein.«
»Kann sein. Irgendwie versteh ich sie ja«, erklärte ich, nachdem ich mir einen Glimmstängel genommen hatte.
»Ich nicht. Wie kann man ohne … ich meine, das können echt nur Frauen, oder? Bei einem Mann schwappt das doch irgendwann mal oben raus.«
»Spar mir die Bilder! Aber ich hab mir eine Theorie zurechtgelegt.«
»Da bin ich jetzt aber gespannt!«
»Wenn du aus Varanasi kommst, lebst du nach ganz anderen moralischen Grundsätzen …«
»Jahrhundertalten!«
»Das muss ich respektieren. Diese Regeln sind tief in den Leuten verwurzelt. Vielleicht ging das alles zu schnell für sie: die Übersiedelung in die Schweiz mit all den neuen Eindrücken, dem fortschrittlichen Selbstverständnis der Frauen. Sie hat innert kürzester Zeit Deutsch gelernt, sich eine Führungsposition im Restaurant erarbeitet und die Leitung des Cateringservice übernommen …«
»Was an ein Wunder grenzt, wenn man deine Mutter kennt!«, warf José schmunzelnd ein.
»Sie hat sich wirklich toll integriert, hat Freundinnen, geht aus, eigentlich unterscheidet sie nichts von einer jungen Frau, die in Zürich aufgewachsen ist.«
»Außer dieser einen Sache.«
»Ich stell mir dann immer vor, dass da ein Rest Varanasi in ihr drin ist …«
»Und der setzt sich dann ausgerechnet vors Lustzentrum?«
Ratlos verzog ich den Mund und José lachte.
»Seit wann bist du ein Frauenversteher?«
»Ich entwickle mich weiter«, raunzte ich beleidigt zurück und stieß den Rauch aus.
»Ich sag dir was, Vijay«, fuhr José nach einer Weile fort. »Ich persönlich glaube eher, dass sie sich deiner sicher sein will. Sie kennt dich mittlerweile gut genug und will keines dieser Flittchen sein, die mal kurz mit dir in die Kiste springen, weil sie grad scharf auf einen Exoten sind. Da hilft dir keine noch so pompöse Hochzeit weiter. Du musst sie dir verdienen, denn sie will, was Frauen primär immer wollen.«
»Das wäre?«
»Dass sie die Einzige für dich ist.«
Es war kurz vor elf, als wir schon ziemlich angeschickert die Calle Olmo hinauftorkelten, ein schmales Pflastersteingässchen mit gusseisernen Pollern, das von schmucken, meist dreistöckigen Häusern gesäumt wurde.
Die Balkone waren so schmal, dass man sich fürs Luftschnappen erst mit Xenical oder sonst einer Schlankheitspille hätte in Form bringen müssen. Wohl deswegen hatten sich die Bewohner mehrheitlich entschieden, den Platz zur Aufbewahrung von Müllsäcken oder Blumentöpfen zu verwenden.
Von Mo hatten wir immer noch nichts gehört, obwohl José mehrmals versucht hatte, sie zu erreichen. Verärgert hatte er ihr schließlich die Nachricht hinterlassen, dass wir das Lokal gewechselt hätten. Meine Verabredung mit Maria hatte ich keineswegs vergessen, nur – als wir am El Mojito vorbeikamen, brachten wir es nicht übers Herz, einfach daran vorbeizugehen. Aus dem abgesprochenen Drink wurden am Ende drei, doch da in Madrid ohnehin niemand pünktlich zu einem Treffen erschien, ging ich das Risiko ein, Maria ein wenig warten zu lassen.
Die Flamencobar Candela lag nur wenige Schritte vom Mojito entfernt, im Untergeschoss eines lachsfarbenen Eckhauses. Aus den offenen Fenstern auf Straßenniveau drangen virtuos gespielte Gitarrenläufe und rhythmisches Klatschen, eine raue Frauenstimme hob zu melancholischem Gesang an. Zigeunermusik, die mir warm ums Herz werden ließ.
Ein mürrisch aussehender Türsteher ließ uns nach kurzer Inspektion durch und wir stiegen die wenigen Stufen ins Lokal hinab, einen übersichtlichen Raum mit einem knappen Dutzend Tischchen, die alle besetzt waren. An den Wänden hingen signierte Fotos von Flamencotänzerinnen und Stierkämpfern neben antiken Konzertplakaten, der Boden war schwarz-weiß gehalten wie ein Schachbrett, an der Decke wölbten sich mit Stuck verzierte Bögen.
Wir setzten uns an die Bar und bestellten weitere Drinks. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Musik nicht live gespielt wurde, und das
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