Family Affairs - Verbotenes Verlangen
bin und nicht umgekehrt. Für ein Kind ist das ziemlich hart, und wenn ich ehrlich bin erinnere ich mich nicht gern an meine Kindheit zurück. Materiell gesehen hatte ich wirklich alles, was man sich für Geld kaufen konnte. Spielzeug, hübsche Kleider, Besuche in Vergnügungsparks. Aber das, was ich wirklich gebraucht hätte … eine Mutter, die mich mal in den Arm nimmt und Zeit mit mir verbringt … das blieb immer nur ein Wunschtraum von mir.“
Chloe hielt kurz inne und schenkte Paige ein bedauerndes Lächeln.
„Ich will dir deine Träume und Vorstellungen nicht zerstören, aber wenn du die Hoffnung hegst, in ihr eine liebevolle Mutter zu finden, wirst du höchstwahrscheinlich eine Enttäuschung erleben. Ich habe mein ganzes Leben bei ihr verbracht und war ihr nie wirklich nahe, nicht so, wie du es mit Ross erlebt hast.“
Paige nickte. Sie wirkte nicht im Mindesten überrascht. So als hätte sie mit einer derartigen Antwort gerechnet.
„Danke für die klaren Worte. Dad hat mich zwar gewarnt, aber …“ Sie sah kurz auf, ihr Lächeln wirkte schrecklich müde. „Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, und nachdem sie mich um ein Treffen gebeten hat, wollte ich einfach die Einschätzung eines Menschen hören, der sie gut kennt. Ross ist dafür nicht der Richtige, außerdem hält er es für keine gute Idee, dass ich Kontakt zu ihr aufbaue. Und jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich dachte, du könntest mir bei meiner Entscheidung helfen.“
„Das kannst nur du allein entscheiden, Paige“, antwortete Chloe leise. Sie konnte und wollte sich da nicht einmischen. Ihre Schwester musste selbst herausfinden, ob sie Leanne eine Chance geben wollte. Für sich selbst schloss sie das momentan kategorisch aus.
„Du hast recht, da muss ich wohl allein durch.“
Paige verstummte, wirkte auf einmal sehr nachdenklich und in sich gekehrt. Mit dem Zeigefinger zog sie Kreise auf dem Rand ihrer Kaffeetasse. Ein durchdringendes Quietschen war die Folge, und dieses Geräusch zerrte an Chloes Nerven.
„Könntest du das bitte lassen?“
Paiges Hand zuckte sofort zurück, ein peinlich berührter Gesichtsausdruck begleitete die Geste.
„Tut mir leid“, murmelte sie, seufzte und lehnte sich auf dem harten Plastikstuhl zurück. „Mann, ich bin ganz schön nervös“, gestand sie schließlich. „Als Dad mir erzählt hat, dass ich eine Schwester habe und meine Mutter noch lebt und nicht tot ist, wie er mir all die Jahre weisgemacht hat, dachte ich zuerst, er hätte Drogen genommen.“
„Warst du nicht sauer auf ihn?“, hakte Chloe neugierig nach. „Immerhin hat er dich jahrelang belogen.“
Paiges Miene wirkte gleichgültig.
„Klar war ich sauer. Aber eher auf sie, weil sie mich im Stich gelassen hat. Es war besser, im Glauben aufzuwachsen, sie wäre tot, als mich ständig zu fragen, was hätte sein können.“ Ein schwaches Lächeln bog ihre Mundwinkel nach oben. „Dad hat seine Fehler, aber ich weiß, dass er mich liebt. Alles, was er tut, dient nur meinem Schutz. Er hat mich nicht angelogen, um mir wehzutun.“
Chloe nickte langsam. Paiges Erklärung klang plausibel und nachvollziehbar, doch sie war noch nicht zu Ende. Sie lachte ein wenig verlegen.
„Also ehrlich. Hier zu sitzen … bei meiner Schwester … hat so etwas Unwirkliches an sich, dass ich laufend das Gefühl habe, mich kneifen zu müssen.“
Chloe lächelte.
„Mir geht es ähnlich“, gab sie nach einigem Zögern zu und räusperte sich dann vernehmlich. „Möchtest du noch eine Tasse Kaffee?“, fragte sie, obwohl Paige noch nicht einmal diese leergetrunken hatte.
„Warm“, ergänzte sie schnell. „Der hier wird doch schon kalt sein.“
Paige schüttelte den Kopf.
„Ich will keinen Kaffee. Was ich möchte, ist eine Schwester“, entgegnete sie mit ihrer typischen Offenherzigkeit. Ein hoffnungsvolles Glimmen erhellte das düster gewordenen Blau ihrer Augen. Diese riesigen Tümpel glichen denen ihrer gemeinsamen Mutter so sehr, dass Chloe kaum hineinsehen konnte. Dennoch war es unmöglich, sich gegen die wachsende Verbundenheit zu wehren, die sie für Paige zu empfinden begann, denn die seit Jahren anhaltende Sehnsucht nach einem Menschen, dem sie sich stets anvertrauen konnte, verschaffte sich lautstark Gehör. Paige war ihre Schwester, von ihrem Blut. Was immer Ross und Leanne in der Vergangenheit geteilt und wieder verloren hatten, um so einen Hass füreinander zu empfinden, durfte nicht stark genug werden, um jemanden
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