Family Affairs - Verbotenes Verlangen
Griechenland und anderen krisengebeutelten Ländern verlagerten ihr Geld ins Ausland und kauften bevorzugt Luxusapartments, was dem tot geglaubten Londoner Immobilienmarkt eine unerwartete Wiederbelebung bescherte. Kopfschüttelnd blätterte sie die Seiten ihres Timers um, suchte vergeblich nach einem freien Termin und schenkte Edgar einen bedauernden Blick.
„Es tut mir leid, Edgar, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich diesen Kunden noch unterbringen soll. Ich bin über die nächsten Wochen hinaus komplett ausgebucht. Ohne einen der bestehenden Kunden abzugeben, sehe ich keine Möglichkeiten.“
Einen Kunden nicht bis zum Ende zu betreuen, stellte in Edgars Augen eine Todsünde dar. Chloe war sich sicher, dass er es dabei belassen würde, um sich zähneknirschend an einen anderen Kollegen zu wenden. Doch anstatt ihr beizupflichten, hob er lediglich eine schlohweiße Augenbraue.
„Sie können nicht?“, vergewisserte er sich.
Chloe schüttelte den Kopf.
„Nein.“ Sie versuchte, souverän zu klingen, doch am unnachgiebigen Zug um seinen Mund war unschwer zu erkennen, dass er in diesem speziellen Fall keine Kompromisse eingehen würde. Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn und grub eine keilartige Vertiefung in die papierdünne Altmännerhaut.
„Dann müssen Sie eben einen Weg finden, um das zu bewerkstelligen“, erklärte er wenig kompromissbereit. Sein Kinn reckte sich eigensinnig nach vorn, und sie stand kurz davor, zu resignieren. Das roch nach Ärger.
Mit mehr Nachdruck als nötig klappte sie ihren Terminplaner zu und versuchte, seinem Blick standzuhalten. Es gefiel ihm nicht, dass sie nicht gleich begeistert „Hurra“ geschrien hatte. Andererseits war sie ein menschliches Wesen und kein Roboter, den man nach Belieben ein- und ausschalten konnte. Sogar ein Workaholic brauchte ab und an ein bisschen Zeit, um die Hausarbeit zu erledigen und den gähnend leeren Kühlschrank aufzufüllen. Chloe suchte nach einem schonenden Weg, um ihm plausibel klarzumachen, dass er sich für diesen Kunden an einen ihrer Kollegen wenden musste.
Forschend taxierte sie ihn und lotete ihre Chancen aus, dieses Kunststück fertigzubringen, ohne ihn noch mehr zu verärgern. Eigentlich war er ein sehr humorvoller und verständiger Mann, integer und würdevoll bis in die Fingerspitzen, doch wenn es ums Geschäft ging, verstand er keinen Spaß. Die Immobilienbranche war trotz florierender Geschäfte nach wie vor hart umkämpft. Konkurrierende Büros sprießten wie Pilze aus dem Boden und nahmen sich gegenseitig potenzielle Käufer weg. Sorenson & Söhne entwickelte sich trotz der harten Zeiten weiterhin ausgesprochen gut, hatte die weltweite Krise schadlos überstanden und keine größeren Verluste hinnehmen müssen. Und Edgar wollte, dass dies so blieb.
„Wirklich, Edgar, Sie müssen mir glauben, dass ich wirklich Probleme hätte, Mr. Turner mit in meinen Pool zu nehmen.“
„Probleme sind da, um gelöst zu werden, Chloe. Eigentlich war ich bisher der Meinung, dass es genau diese Einstellung ist, die Sie auszeichnet. Sollte ich mich etwa geirrt haben?“
Sie machte ein langes Gesicht.
„Natürlich nicht, aber ich will ehrlich sein. Auch meine Belastungsgrenze ist irgendwann erreicht. Wollen Sie, dass ich vor lauter Arbeit umfalle?“, fragte sie geradeheraus, was dem Mann mit dem graumelierten Haar ein sparsames Lächeln entlockte.
„Aber Chloe, jetzt machen Sie mal halblang“, schalt er und fühlte sich sichtlich angegriffen. „Ich war der Meinung, Sie freuen sich, wenn ich Ihnen einen so lohnenden Kunden zuschanze.“
Chloe bedauerte ihre eben getroffene Aussage sofort, als sie den beleidigten Zug um seinen Mund bemerkte. Sie seufzte, strich sich das störende Haar aus dem Gesicht und stützte die Ellenbogen auf der edlen Maserung der Tischplatte ab. Ihre Ärmel rutschten dabei nach oben und offenbarten zwei blasse Handgelenke, die – schmucklos bis auf eine schlichte goldene Uhr – eine Zerbrechlichkeit wiedergaben, die eigentlich nicht ihrem tatsächlichen Wesen entsprach. Allerdings hätte sie schon blind sein müssen, um sich ihrer Wirkung auf andere Menschen nicht bewusst zu sein. So nahm sie sich ab und an die Freiheit und nutzte den instinktiven Beschützerinstinkt, den sie bei vielen hervorrief, zu ihrem Vorteil. So wie jetzt.
„Es tut mir leid, Edgar. Sie müssen mich für schrecklich undankbar halten“, entschuldigte sie sich zerknirscht und legte einen möglichst seelenvollen
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