Fanal des Blutes
wollte. Es zwang sie zu trinken, obwohl sie bereit war, zu verdursten. Es hatte sie gezwungen, in der Redaktion anzurufen und sich krank zu melden. Und es versetzte sie immer wieder in Tiefschlaf, obwohl sich Seven verzweifelt dagegen wehrte. Sie wollte nicht schlafen, wollte nicht zur Marionette werden! Aber sie hatte keine Chance.
Das Balg hatte sie aus dem Krankenhaus flüchten lassen und unerbittlich nach Hause getrieben. Seitdem hockte sie hier, aß und trank und verdöste den Tag in einem tranceartigen Dämmerzustand.
Mehrmals hatte sie sich mühsam aufgerafft und versucht, Darren anzurufen. Aber sie konnte es nicht! Wann immer sie seine Handy-nummer einzutippen begann, vertippte sie sich. Oder sie vergaß während des Wählens den Rest der Nummer! Es war wie in einem Alptraum! Nur daß Seven inzwischen jegliche Hoffnung aufgegeben hatte, jemals wieder daraus zu erwachen. Und daß sie wußte, es handelte sich nicht um einen Alptraum, sondern um die Realität!
Der einzige Lichtblick in diesem Chaos war - so abartig es auch klang - ihr Wunsch, nicht weiterleben zu wollen.
Im hintersten Winkel von Sevens Bewußtsein hatte sich dieser Gedanke eingenistet, und es gelang ihr, ihn dort zu halten, ein wenig verschwommen, vage, wie ein flüchtiges Traumbild, als fürchte sie, er werde von dem Lebenswillen des Monsters in ihr absorbiert werden, wenn sie ihn erst einmal ausdrücklich zu Ende gedacht und die logischen Schlüsse daraus gezogen hatte.
So entwickelte Seven eine Art zweites, heimliches Bewußtsein. Zwar ahnte sie dumpf, daß diese Spaltung nicht gut war für ihre geistige Gesundheit, aber es war ihr gleichgültig. Solange sie noch einen Funken ihres Selbst der Macht des Geschöpfes entziehen konnte, war sie zu allem bereit.
Schlimmer als jetzt konnte es nicht kommen.
Meinte sie.
*
Zwei Tage war es Marc Trilsh gelungen, Darren und Lilith mit Geschichten über eine Art Blutkonservenmafia von Conens Farm fernzuhalten. Dann war Lilith es leid. Es kam nichts dabei heraus, in der Gegend herumzukutschieren und sich wilden Spekulationen hinzugeben. Und es machte sie rasend, nichts wirklich Effektives tun zu können.
Also beschloß sie, ihre ganz spezielle Art der Nachforschung zu betreiben. Und anfangen würde sie damit auf Conens Farm. Denn die Spur, die dorthin geführt hatte, war heiß gewesen, während die Fährten des Sheriffs ihr allenfalls lauwarm vorkamen.
Als Darren noch einen Schluck unten an der Hotelbar nahm, sprach sie ihm - für alle Fälle - eine Nachricht auf den Anrufbeantworter, öffnete das Fenster des Hotelzimmers und schwang sich in den dunklen Abendhimmel.
Es war herrlich, durch die Dunkelheit zu fliegen, Sterne und Mond über sich, die Lichter der Stadt weit genug unter sich, auch wenn sich die Sinne, derer sie sich bediente, vollkommen von denen der Menschen unterschieden.
Kaum zehn Minuten später landete sie etwas abseits der Farmgebäude in einem Baum. Die Metamorphose setzte sogleich ein, und anschließend hatte Lilith eine kurze Kletterpartie zu bewältigen, bis sie Boden unter die nun wieder menschlichen Füße bekam. Sie trug das schwarze Catsuit, das ihr in solchen Situationen immer gute Dienste geleistet hatte.
Nur aus den Fenstern des Wohnhauses drangen Lichtschein und Geräusche. Die restlichen Gebäude lagen still und dunkel da. Lilith steuerte auf die große Scheune zu, betrat sie durch die kleine Seitentür, die unverschlossen war.
Der Anblick des Propellerflugzeugs überraschte sie ein wenig, bis ihr einfiel, daß es auf den meisten größeren Farmen irgendwelche Fluggeräte gab. Sonst war hier nichts zu entdecken.
Lilith verließ die Scheune wieder und wandte sich den ehemaligen Stallungen zu. Doch hier waren die Türen verriegelt und verrammelt. Wachsam immer zum Haus hin horchend, umrundete Lilith das Gebäude, in der Hoffnung, irgendwo auf ein offenstehendes Fenster zu stoßen. Tatsächlich entdeckte sie eines an der rückseitigen Giebelwand.
Zwar befand es sich in gut zwei Metern Höhe, und der Spalt maß keine zwanzig Zentimeter, aber das stellte für eine Fledermaus kein Hindernis dar.
Sekunden später tauchte Lilith ins Innere des Stallgebäudes ein -und taumelte fast unter dem aufdringlichen Geruch, der ihr entgegenschlug und der für einen Augenblick ihre Sinne verwirrte. Der Geruch nach geronnenem Blut!
*
Unwillkürlich hatte Pat nach Genes Hand gegriffen. Jetzt gruben sich ihre Fingernägel schmerzhaft in sein Fleisch.
»Hast du ... hast du das
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