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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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er hatte, offen gestanden, herzlich wenig Lust, sich von dem Portefeuille zu trennen, das in seine Hände zu bekommen ihn so viel gekostet hatte. Pyshow, der das Zaudern seines Gegenübers nicht zu bemerken schien, fuhr fort: »Ich stecke die Nase nicht gern in Dinge, die mich nichts angehen. Da bin ich diskret und bescheiden. Und daß Sie mit manchem hinter dem Berg halten, sehe ich. Recht getan, mein Apfelbäckchen, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold! Iwan Franzewitsch Brilling ist ein hohes Tier. Ein stolzer Adler, ließe sich sagen, inmitten von Drosseln, die, wenn’s drauf ankommt, den Schnabel nicht halten können. Also, wie ist es?«
    »Wie ist was?«
    »Na, mit dem Portefeuille? Ich würde es allseits mit Siegellack balsamieren und einem aufgeweckten Kurier in die Hand geben, ruck, zuck ist der damit in Moskau, wie die berühmte fliegende Troika. Und ein chiffriertes Telegrammchen schickte ich obendrein: Nehmt in Empfang die edle Göttergabe.«
    Beim Allmächtigen: Nicht um den Ruhm ging es Erast Fandorin, um Orden und Beförderungen schon gar nicht. Um der Sache willen hätte er Pyshow das Portefeuille liebend gern überlassen, per Kurier war es sicherer, keine Frage. Doch hatte ihm seine Phantasie schon so viele Male das Bild der triumphalen Rückkehr zum Chef vorgegaukelt, die effektvolle Aushändigung der kostbaren Mappe nebst fesselnder Erzählung der abenteuerlichen Umstände ihres Erlangens … Sollte aus alledem nichts werden?
    Das sah Fandorin nicht ein. Dazu fehlte es ihm an Größe. Und er sagte in entschlossenem Ton: »Das Portefeuille bleibtan sicherem Ort verwahrt. Ich überbringe es selbst. Ich stehe mit meinem Kopf dafür ein. Nehmen Sie es mir nicht krumm, Porfirius Martynowitsch.«
    »Schön, schön«, lenkte Pyshow ein, »ganz wie Sie wollen. Dann kann ich um so ruhiger schlafen. Was sollen mir fremde Geheimnisse, ich hab an meinen eigenen genug zu tragen. Ein sicherer Ort ist ein sicherer Ort.« Er erhob sich, sein Blick huschte über die kahlen Zimmerwände. »Dann legen Sie sich einstweilen noch ein bißchen aufs Ohr, mein Freund. Die Jugend braucht ihren Schlaf. Ich alter Knilch kann sowieso nicht mehr schlafen, werde mich also einstweilen um das Boot kümmern. Morgen, was sag ich, heute, noch vor Sonnenaufgang bin ich wieder bei Ihnen, geleite Sie zum Kai, Küßchen zum Abschied und drei Kreuze. Derweil ich armer Waisenknabe mein Brot fern der Heimat knabbere. Tja. Selbst der Hund von Afanassi geht in der Fremde ungern Gassi.«
    An dieser Stelle merkte Pyshow wohl selbst, daß er gar zu viel Sirup an seine Rede goß, reuig hob er die Arme.
    »Pardon, ich verplaudere mich. Man schmachtet in der Fremde nach der lebendigen russischen Rede und legt sich so allerlei Schlenkerchen zu. Unsere Klügler an der Botschaft ziehen es vor, französisch zu parlieren, man hat keinen, dem man sein russisches Herz ausschütten kann.«
    Draußen vor dem Fenster krachte es bedenklich, es hatte wohl auch schon zu regnen begonnen. Pyshow wurde unruhig, rüstete zum Aufbruch.
    »Ich muß. Ojojoi, von ferne dräuen Ungewitter …«
    In der Tür drehte er sich noch einmal um, ließ einen letzten, zärtlichen Blick über Fandorin gehen und verschwand, nicht ohne eine tiefe Verbeugung, in der Finsternis des Korridors.
    Fandorin verriegelte die Tür und zog fröstelnd die Schultern hoch. In diesem Moment krachte ein Donnerschlag, man konnte meinen, direkt auf das Dach des »Ferry Road« herunter.
     
    Dunkel und grausig ist die kärgliche Kammer, deren einziges Fenster auf den kahlen, gepflasterten Innenhof geht, wo kein Grashalm wächst. Dort draußen ist es naß, dort pfeifen Regen und Wind, doch zwischen den Wolkenfetzen am schwarzgrauen Himmel treibt der Mond. Ein gelber Strahl dringt durch den Spalt zwischen den Vorhängen herein in die Höhle, fährt mitten hindurch bis zum Bett, wo Fandorin, von einem Alptraum geplagt, in kaltem Schweiß sich wälzt. Vollständig angezogen liegt er da – Schuhe an den Füßen, Waffen zur Hand –, nur der Revolver lagert noch unter dem Kopfkissen.
    Sein vom Mord bedrücktes Gewissen beschert dem armen Fandorin ein gräßliches Traumbild. Die tote Amalia beugt sich über sein Bett. Ihre Augen sind halb geschlossen, ein Tröpfchen Blut rinnt unter den Wimpern hervor, sie hält eine schwarze Rose in der bleichen Hand.
    »Was hab ich dir getan?« beklagt sich die Tote bei ihm. »Ich war jung und schön, ich war unglücklich und einsam. Man hat mich in ein Netz gelockt, man

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