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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Franz und zog einen Strick um den Sack – so straff, daß Fandorin Mühe bekam zu atmen.
    »Auf geht’s!« Der Butler stieß den Gefangenen vorwärts, und Fandorin tappte blind drauflos, ohne recht zu begreifen, warum sie ihm nicht gleich hier im Hotelzimmer den Garaus machten.
    Zweimal stolperte er und wäre über die Schwelle des Hauses gestürzt, wenn Johns Pranken ihn nicht noch bei der Schulter gepackt hätten.
    Es roch nach Regen. Pferde schnaubten.
    »Wenn ihr beiden fertig seid, kommt ihr noch mal her und räumt auf«, ließ die Beshezkaja sich hören. »Wir fahren schon mal.«
    »Keine Bange, Ma’am«, brummte der Butler. »Sie haben Ihre Arbeit getan, jetzt sind wir an der Reihe.«
    Oh, wie gern hätte Fandorin Amalia noch ein gebührendes Wort mit auf den Weg gegeben, etwas ganz Besonderes, damit sie ihn nicht als feigen Tolpatsch im Gedächtnis behielte, sondern als Teufelskerl, heldenhaft gefallen im ungleichen Kampf gegen eine ganze Armee von Nihilisten. Der widerwärtige Knebel verwehrte ihm diese letzte Genugtuung.
    Und damit nicht genug. Auf den Unglücksraben wartete eine weitere Erschütterung – auch wenn man hätte annehmen dürfen, daß ihn nach alledem nichts mehr erschüttern konnte.
    »Amalia Kasimirowna, mein Herzchen«, drang ein samtener Tenor an Fandorins Ohr. Den kannte er. »Erlauben Sie einem alten Knilch wie mir, die Kutsche mit Ihnen zu teilen.Es plaudert sich netter mit einem Dach überm Kopf, schauen Sie nur, wie ich triefe. Ihr Patrick könnte meine Droschke nehmen und hinter uns herfahren, Sie haben doch nichts dagegen, mein Täubchen?«
    »Steigen Sie ein!« erwiderte die Beshezkaja trocken. »Nur bin ich nicht Ihr Herzchen, Pyshow, und Ihr Täubchen schon gar nicht.«
    Fandorin brachte es nur zu einem dumpfen Winseln; sein Unglück herauszubrüllen war mit dem Knebel ganz unmöglich. Die ganze Welt hatte sich gegen ihn verschworen. Kein Herkules konnte einer solchen Übermacht von Bösewichten trotzen. Wo man hinsah, nichts als Verräter, arglistige Nattern. (Puh, jetzt drückte er sich schon genauso verquer aus wie Pyshow, dieses Scheusal!) Erst die Beshezkaja mit ihren Halsabschneidern, dann Surow und jetzt auch noch Pyshow – alles falsche Fünfziger, alles Feinde. Nein, in diesem Augenblick hatte Fandorin das Leben gründlich satt, so sehr war er von Abscheu erfüllt und von unendlicher Müdigkeit.
    Im übrigen gab sich momentan niemand Mühe, ihm das Leben schmackhaft zu machen. Seine Begleitung schien diesbezüglich ganz andere Absichten zu hegen.
    Der Gefangene wurde von kräftiger Hand gepackt und auf einen Sitz gedrückt. Links von ihm ließ der massige Morbid sich nieder, rechts Franz, das Fliegengewicht, der die Peitsche knallen ließ, worauf es Fandorin nach hinten in den Sitz riß.
    »Wohin?« fragte der Butler.
    »Pier sechs war gesagt. Da soll das Wasser tief und die Strömung günstig sein. Was meinst du?«
    »Ich habe dazu keine Meinung. Von mir aus Pier sechs.«
    Womit das Schicksal, das Fandorin drohte, zur Genügeerhellt war. Man fuhr zu irgendeinem abgelegenen Hafenbecken, dort bekam er einen Stein an den Hals und einen Stoß von hinten, und dann durfte er auf dem Grund der Themse, zwischen rostigen Ankern und Flaschenscherben vor sich hin faulen. Titularrat Fandorin würde spurlos verschollen sein, denn tatsächlich hatte ihn nach dem Pariser Militärattaché niemand mehr zu Gesicht bekommen. Iwan Brilling mußte annehmen, daß sein Schützling irgendwo vom Weg abgekommen war, er würde die Wahrheit nie erfahren. Und niemand würde ahnen, in Moskau so wenig wie in Petersburg, welch miesen Gauner sie da in ihrem Geheimdienst sitzen hatten. Dem man schleunigst das Handwerk legen mußte!
    Nun ja. Vielleicht bot sich dazu noch Gelegenheit.
    Gefesselt, in diesen großen, staubigen Sack gesteckt, fühlte Fandorin sich doch unvergleichlich besser als zwanzig Minuten zuvor, als das phosphoreszierende Gespenst vor dem Fenster aufgetaucht war und der gräßliche Anblick ihm den Verstand gelähmt hatte.
    Eine Chance zu entkommen gab es nämlich noch. Bei aller Fingerfertigkeit hatte es dieser Franz versäumt, den rechten Ärmel abzutasten. In diesem Ärmel steckte das Stilett, das nun Fandorins ganze Hoffnung war. Vorausgesetzt, er war geschickt genug, mit den Fingern an den Griff zu kommen. Was durchaus nicht einfach war, da der Arm am Oberschenkel festhing. Wie weit mochte es sein bis zu diesem Pier sechs? Ob er es bis dahin schaffte?
    »Sitz endlich still!«

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