Fandorin
blieb stehen, wich im nächsten Moment zurück.
»Das ist vernünftig, mein Täubchen!« rief Pyshow, dessen geschmeidiger, katzenhafter Gang Fandorin jetzt auffiel. »Ich wußte doch, daß Ihr ein besonnenes Bürschlein seid. Seht Ihr, was ich hier habe?« Er schwenkte sein metallenes Utensil, und Fandorin konnte erkennen, daß es sich um eine doppelläufige Pistole von ungewöhnlich großem Kaliber handelte. »Ein garstiges Ding! Die Ganoven hierzulande nennen es Smasher. Hier vorn, wenn Ihr einmal herzuschauen beliebt, kommen zwei Treibladungen hinein – von der Art, wie sie die Petersburger Konvention von achtundsechzig verbietet. Aber was kümmert das die Verbrecher, mein lieber Fandorin, Bösewichter der übelsten Sorte! Was geht die eine Konvention der Menschenfreundlichkeit an! Und so ein Sprengkügelchen, wenn es ins Weiche trifft, rupft alles in klitzekleine Fetzen. Fleisch und Knochen und Sehne – ein einziges Ragout. So daß Ihr Euch doch besser nicht von der Stelle rühren solltet, mein Bester, sonst drücke ich vor Schreck noch ab, solch eine Roheit wäre unverzeihlich, sie reute mich bis in alle Ewigkeit. Och, wie das wohl weh tun mag, wenn man so was im Bauch stecken hat oder irgendwo dort unten …«
Der Schluckauf kam wieder, nun nicht mehr von der Kälte, sondern von der Angst. Doch Fandorin war außer sich.
»Judas, verdammter!« brüllte er. »Hast dein Vaterland fürdreißig Silberlinge verkauft!« Die tückische Pistolenmündung ließ ihn aufs neue zurückweichen.
»Wie schon der große Dershawin schrieb: Unstetigkeit ist der Sterblichen Los. Ihr kränkt mich ganz zu Unrecht, mein Lieber. Nicht bei dreißig Schekel bin ich schwach geworden, das Sümmchen war um einiges üppiger, und man hat es mir fein ordentlich aufs Schweizer Bankkonto überwiesen – fürs Altenteil. Ist doch besser, als hinter Schloß und Riegel zu verschimmeln. Aber wo seid Ihr denn jetzt hingeraten? Dummerchen! Wer soll Euer Gekläff hier hören? Rennt gegen die Mauer – ist doch kein ganz Schlauer, haha… Diese Mauer hat Hand und Fuß, mein Teuerster, das ist die Cheopspyramide. Da geht es nicht mit dem Kopf durch die Wand.«
Fandorin war bis an den äußersten Rand der Uferpromenade zurückgewichen und mußte stehenbleiben, fühlte den Fußknöchel gegen die flache Brüstung stoßen. Was diesem Pyshow zu gefallen schien.
»So ist es fein, so ist es ganz prima!« jubelte er und blieb, zehn Schritt von seinem Opfer entfernt, stehen. »Sonst hätte ich hinterher meine liebe Not gehabt, einen so gutgenährten Knaben zum Wasser zu schleifen. Keine Bange, mein Rubinchen! Pyshow versteht sein Handwerk. Peng und fertig. Aus dem roten Lärvchen wird ein rotes Breichen. Nicht wiederzuerkennen, selbst wenn da einer was aus dem Wasser fischen sollte. Und die arme Seele fleucht zu den Engelchen im Himmel. War ja noch keine Zeit zu sündigen, so jung und zart, wie sie ist.«
Mit diesen Worten hob er die Waffe, kniff das linke Auge zusammen und lächelte genüßlich. Er beeilte sich nicht zu schießen, schien sich an dem Moment zu berauschen. Fandorins verzweifelter Blick ging das verwaiste, vom Morgengrauenschwach erhellte Ufer entlang. Nein, da war niemand. Dies war nun wirklich das Ende. Halt, beim Lagerhaus rührte sich jetzt etwas, doch hinzuschauen blieb keine Zeit mehr. Krachend fiel der Schuß, gewaltiger als jeder Donner vom Himmel. Fandorin wankte und fiel mit markerschütterndem Schrei rücklings in den Fluß, aus dem er erst Minuten zuvor mit soviel Mühe herausgefunden hatte.
ZWÖLFTES KAPITEL,
in welchem unser Held erfährt, daß er einen Glorienschein um den Kopf hat
Doch das Bewußtsein verließ den Erschossenen nicht, und merkwürdigerweise spürte er keinen Schmerz. Erast Fandorin, mit den Fäusten auf das Wasser trommelnd, verstand die Welt nicht mehr. Was war das? Lebte er noch, oder war er tot? Und wenn tot – warum diese Nässe?
Jetzt tauchte Surows Kopf oberhalb der Uferbegrenzung auf, was Fandorin nicht wunderte: Erstens hätte ihn im Moment überhaupt schwerlich etwas verwundern können, und zweitens sollten im Jenseits (falls es das war) noch ganz andere Dinge möglich sein.
»Erasmus! Lebst du noch? Hab ich dich blessiert?« brüllte Surows Kopf hysterisch. »Gib mir deine Hand.«
Fandorin streckte die Rechte aus dem Wasser und wurde mit einem einzigen, kräftigen Ruck aufs Trockene gezerrt. Das erste, was er sah, als er wieder auf den Füßen stand, war Pyshows kleine Gestalt, mit dem
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