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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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von unten bis oben aufgeschlitzt; nach einem letzten Schnitt sank das schwere Schienenstück in den weichen Modder.
    Nun durfte er nur nicht zu früh auftauchen. Fandorin stieß sich mit den Füßen ab, streckte die Arme aus und tastete sich durch das sämige Dunkel. Irgendwo ganz in der Nähe mußten die Pfeiler sein, auf denen der Steg ruhte. Schon berührten die Finger das schlierige, algenbesetzte Holz. Nun also den Pfeiler aufwärts, langsam. Es durfte kein Platschen geben, keinen einzigen Laut.
    Unter den Planken des Piers herrschte pechschwarze Nacht. Plötzlich aber schob sich aus den finsteren Tiefen lautlos ein heller, runder Fleck. Darin gleich noch einer, kleiner und wiederum schwarz: Das war Titularrat Fandorins aufgerissener Rachen, der gierig die Hafenluft in sich einsog.Es stank nach Fäulnis und Kerosin. Der zauberhafte Geruch des Lebens.
    Währenddessen wurde oben auf dem Steg eine träge Unterhaltung geführt. Fandorin in seinem Versteck konnte jedes Wort hören. Früher hatte es ihm so manches Mal Tränen der Rührung in die Augen getrieben bei der Vorstellung, mit welchen Worten Freund und Feind seiner gedenken würden (»ein Held ist vor der Zeit von uns gegangen …«), was für Reden gehalten werden würden am offenen Grab. Im Grunde war seine ganze Jugend über derlei Träumereien hingegangen. Wie groß nun die Entrüstung des jungen Mannes, da er die Bagatellen derer mit anhören mußte, die die Ehre hatten, seine Mörder zu sein! Kein Wort über den, der da eben in den schwarzen Fluten versunken war – ein Mensch mit Herz und Verstand, von edler Gesinnung und hehrem Streben!
    »Ooh … Die Tour heute wird mir wohl wieder einen Rheumaanfall einbringen«, stöhnte Franz. »Wie mir diese Nässe an die Nieren geht! Was stehen wir eigentlich noch hier rum? Laß uns losfahren!«
    »Noch nicht.«
    »Hör mal, ich hab vor lauter Rennerei nicht mal zu Abend gegessen. Hoffentlich kriegen wir wenigstens was zu beißen, was meinst du? Oder denken die sich noch einen neuen Job für uns aus?«
    »Darüber brauchen wir uns nicht den Kopf zu zerbrechen. Wir tun, was man uns sagt.«
    »Wenigstens eine Scheibe Kalbsbraten möchte ich mir vorher zwischen die Kiemen schieben. Mir knurrt der Magen. Sag bloß, wir sollen unser Nest schon wieder aufgeben? Kaum hat man sich ein bißchen eingewöhnt … Wozu das Ganze? Die Sache ist doch ausgestanden.«
    »Sie wird schon wissen, wozu. Wenn sie es befohlen hat, wird es richtig sein.«
    »Ist ja wahr. Sie irrt sich niemals. Ihr zuliebe würde ich alles tun – nicht mal den eigenen Vater würde ich verschonen. Wenn ich einen hätte. Sie hat mehr für uns beide getan als jede Mutter.«
    »Und ob. Es reicht jetzt, wir können.«
    Fandorin wartete, bis die Schritte verhallt waren, und zählte sicherheitshalber noch bis dreihundert, ehe er auf das Ufer zusteuerte.
    Mit großer Mühe, ein paarmal abrutschend, erklomm er die Uferbefestigung, die zwar nicht hoch, aber beinahe senkrecht war; hier sah er, daß der Morgen bereits graute. Der dem kalten Tod Entronnene zitterte heftig, ihm klapperten die Zähne, und zu alledem plagte ihn nun noch ein Schluckauf – er mußte etwas von dem schimmligen Flußwasser geschluckt haben. Nichtsdestoweniger fand Erast Fandorin das Leben wunderschön. Mit einem liebevollen Blick bedachte er das graue Flußpanorama (vom anderen Ufer grüßten ein paar Lichter herüber), freute sich am soliden Anblick des flachen Lagerhauses, billigte das gemessene Schaukeln der Schleppdampfer und Barkassen, die sich längs der Hafenmauer reihten. Ein friedliches Lächeln erleuchtete das nasse, von einem Teerstreifen quer über der Stirn gezeichnete Gesicht des von den Toten Auferstandenen. Fandorin reckte sich wohlig – und erstarrte in dieser absurden Pose, denn von der Ecke des Lagerhauses hatte sich eine gedrungene Silhouette gelöst, die schaukelnd näher kam.
    »Ach ihr Ausgeburten, ach, ihr Galgenstricke!« ließ die Silhouette noch aus großer, jedoch schnell dahinschmelzender Entfernung ein hohes, jammerndes Stimmchen hören. »Auf keinen ist Verlaß, auf alles muß man selbst ein Augehaben. Was finget ihr an ohne euren Pyshow, sagt? Ihr wäret hilflos wie blinde Welpen, jawohl!«
    Vom Zorn des Gerechten ergriffen, stürzte Fandorin auf ihn zu. Dieser Verräter schien sich einzubilden, daß sein satanisches Doppelspiel unbemerkt geblieben war.
    Nun aber sah Fandorin etwas Metallisches in der Hand des Gouvernementssekretärs Pyshow blitzen, er

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