Fandorin
machen, Ohren spitzen, das kannte ich ja schon. Satyr, der Psyche nachstellend. Und was haben die für ein Tamtam veranstaltet! Wie ein Korpsstab vor der Generalinspektion. Die Diener sind in einem fort raus und rein gerannt, Amalia hörte nicht auf herumzuschreien, Postboten brachten Telegramme. Ich hab mich gefragt, was mein lieber Erasmus bloß angestellt hat. Dieser brave Junge! Was hast du ihr getan, he? Hast du die Lilie der Keuschheit auf ihrer Schulter erblickt? Nein, sie hat keine Lilie, weder auf der Schulter, noch anderswo. Was also? Komm schon, mir kannst du es sagen!«
Fandorin winkte ungeduldig ab – erzähl endlich weiter, mir steht nicht der Sinn nach derlei Unfug, sollte das heißen.
»Jedenfalls hast du in einen Ameisenhaufen gestochen. Dein Bekannter, Gott hab ihn selig« – Surow wies in Richtung des Flusses, wo Porfirius Pyshow seine letzte Ruhestätte gefunden hatte –, »kam im Laufe des Tages gleich zweimal angefahren. Das zweite Mal gegen Abend …«
»Was denn, hast du etwa die ganze Nacht und den ganzen Tag in der Bude gehockt?« staunte Fandorin. »Ohne Essen und Trinken?«
»Ach, ohne Essen halte ich es aus, solange genug zu trinken da ist. Und dafür war gesorgt.« Er klopfte auf den Flachmann in seiner Tasche. »Natürlich mußte ich eine Rationierung einführen. Pro Stunde zwei Schluck. War nicht einfach. Aber gegen das, was ich im Kokandkrieg, bei der Belagerung von Machram aushalten mußte, ist das gar nichts, davonerzähl ich dir später. Ein paarmal hab ich mich davongeschlichen, um mir die Füße zu vertreten und mein Pferd zu besuchen. Es war am Zaun vom Nachbarn angebunden. Gras hab ich ihm gerupft, ein bißchen mit ihm geredet, daß es sich nicht so langweilt, und dann ging’s zurück, auf Posten. Bei uns daheim hätten sie so ein herrenloses Pferd im Handumdrehen zur Seite geschafft, aber hier sind die Leute zu langsam im Kopf, die kommen nicht auf den Gedanken. An dem Abend hab ich meinen Falben ja dann noch gut gebrauchen können. Als Gott-hab-ihn-selig (Surow nickte wieder zur Flußseite hin) zum zweiten Mal vorgefahren kam, da sammelten sich deine Häscher zum Feldzug. Ein Bild für die Götter: Vornweg wie weiland Bonaparte Amalia in ihrer Kutsche, zwei kräftige Burschen auf dem Bock. Ihr nach in der Droschke Gott-hab-ihn-selig. Dann die offene Kalesche mit den beiden Lakaien. Und auf Abstand, im Schutz der dunklen Nacht, ich auf meinem Falben – gerade wie Denis Dawydow, der dichtende Husar. Vier durch das Dunkel geisternde Handtücher!«
Surow kicherte, während er einen kurzen Blick auf den roten Streifen längs des Flusses warf, der die aufgehende Sonne ankündigte.
»Sie fuhren in ein Hinterfinsterhausen, schlimmer als die Ligowka in Petersburg: heruntergekommene Häuser, Lagerschuppen, Dreck. Hier wechselte Gott-hab-ihn-selig in Amalias Kutsche – wohl um Kriegsrat zu halten. Ich band mein Pferd in irgendeinem Torweg an und harrte der Dinge. Gott-hab-ihn-selig betrat ein Haus mit Aushängeschild, blieb dort eine halbe Stunde. Währenddessen wurde das Klima ungemütlich. Ein Donnerwetter brach vom Himmel, es schüttete wie aus Kannen. Ich wurde pitschnaß, harrte aber aus – die Neugier! Gott-hab-ihn-selig erschien wieder,kroch zu Amalia in die Kutsche. Anscheinend ein weiteres Konzilium. Derweil regnete es mir in den Kragen, und der Flachmann war fast leer. Ich überlegte schon, ob ich ihnen einen Auftritt inszenieren sollte, eine Christuserscheinung, um die ganze Bande in die Flucht zu schlagen und Amalia zur Rechenschaft zu ziehen – da ging plötzlich der Kutschenschlag auf, und ich sah etwas, das nie wieder sehen zu müssen ich den lieben Gott von Herzen bitte.«
»Ein Gespenst«, vermutete Fandorin. »Ein leuchtendes?«
»Genau. Brrrr! Ich kriegte eine Gänsehaut. Daß es Amalia war, konnte ich nicht gleich glauben. Es wurde also wieder interessant. Erst ging sie in dasselbe Haus, kam zurück, lief auf den benachbarten Hof, dann verschwand sie noch mal hinter besagter Tür. Gefolgt von den Dienern. Kurze Zeit später geleiteten sie eine Art Sack auf Füßen aus dem Haus. Daß du es warst, den sie da geschnappt hatten, wurde mir erst später klar, vorläufig wäre mir das nicht im Traum eingefallen. Jetzt teilten sich die Truppen: Amalia und Gott-hab-ihn-selig nahmen die Kutsche, die Droschke fuhr leer hinterher, und die Kalesche mit den Dienern und dem Sack, also mit dir, rollte in die Gegenrichtung davon. Von mir aus, dachte ich, was geht mich
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