Fandorin
nehmen, umziehen, Blumen kaufen – und dann, so gegen sechs, auf in die Malaja Nikitskaja, zu den Ewert-Kolokolzews! Erast Fandorin lächelte selig und sang: »Er war leider nur Titularrat und sie Generals liebstes Kind. Er tat ihr die Liebe erklären, doch sie war vor Hochmut ganz blind …«
Da war auch schon das Haus mit dem eisernen Tor, dem gestreiften Pförtnerhäuschen und dem blau uniformierten Bediensteten darin.
Fandorin beugte sich etwas nach vorn und rief: »Wo finde ich Lady Aster? Im Asternat oder drüben?«
»Um die Tageszeit pflegt sie drüben in der Direktion zu sein«, rapportierte der Torwächter brav, und die Kutsche ratterte weiter, in die stille Seitenstraße hinein.
Vor dem zweistöckigen Direktionsgebäude hieß Fandorin den Kutscher warten, wobei er ihm geduldig zu sein empfahl: Das Gespräch konnte sich hinziehen.
Der nämliche aufgeblasene Türhüter, den die Lady mit Timothy angesprochen hatte, lungerte vor der Tür herum, diesmal ließ er sich allerdings nicht die Sonne auf den Pelz scheinen, sondern war in den Schatten gerückt; die Junisonne stach um einiges heftiger als jene im Mai.
Doch verhielt sich dieser »Timothy« deutlich anders als damals, bewies geradezu psychologisches Feingefühl: Er nahm die Mütze ab, verbeugte sich und fragte mit reichlich Zucker in der Stimme, wen zu melden genehm sei. Irgend etwas an Fandorins Erscheinung mußte sich in den letzten vier Wochen so verändert haben, daß der im Stamme der Türhüter tief verwurzelte Instinkt, zuzuschnappen und den Einlaß zu verwehren, nicht mehr ansprang.
»Nicht nötig, ich kenne den Weg.«
Timothy dienerte, sperrte anstandslos die Tür auf und ließ den Besucher an sich vorbei in das mit Leinwand tapezierte Foyer, von wo Fandorin den im hellen Sonnenlicht liegenden Korridor entlang zu der bekannten weißgoldenen Tür gelangte. Sie ging auf, noch bevor er angeklopft hatte, ein hochaufgeschossenes Subjekt in gleicher blauer Livree und weißen Strümpfen, wie Timothy sie trug, sah den Gast fragend an.
»Staatsbeamter Fandorin, Dritte Abteilung, in dringender Angelegenheit«, sagte Fandorin streng, doch das Pferdegesichtdes Lakaien blieb ungerührt, Fandorin mußte sich noch einmal auf englisch erklären: »
State police, inspector Fandorin, on urgent official business
.«
Wieder zuckte kein Muskel in dem versteinerten Gesicht, doch schien der Sinn des Gesagten angekommen zu sein: Affektiert zog der Lakai das Kinn zur Brust und verschwand hinter der Tür, die er fest hinter sich zuzog.
Nach einer halben Minute ging sie von neuem auf. Lady Aster persönlich stand auf der Schwelle. Der Anblick des alten Bekannten malte ein freudiges Lächeln auf ihr Gesicht.
»Ach, Sie sind es, mein lieber Junge. Andrew meinte, irgendein hoher Herr von der Geheimpolizei. Treten Sie ein! Wie geht es Ihnen? Sie sehen erschöpft aus!«
»Ich komme eben aus Petersburg«, erklärte Fandorin, während er das Arbeitszimmer der Lady betrat. »Vom Bahnhof geradewegs zu Ihnen, die Sache pressiert.«
»Ach ja.« Die Baronesse nickte traurig, während sie sich in ihren Sessel setzte und den Gast mit einer Geste gegenüber Platz nehmen ließ. »Bestimmt wünschen Sie mit mir über den lieben Gerald Cunningham zu sprechen. Es ist wie ein böser Traum, ich kann es nicht begreifen. Andrew, nimm dem Herrn doch bitte den Polizeihut ab. Mein alter Diener, vor kurzem aus England gekommen. Der wackere Andrew, wie hatte ich ihn vermißt! Geh, Andrew, geh, mein Freund, ich brauche dich vorerst nicht mehr.«
Der knochige Andrew, der dem Gast weder wacker noch geheuer vorkam, tat eine Verbeugung und entfernte sich. Fandorin suchte in dem harten Lehnstuhl eine bequeme Sitzposition zu finden – die Unterhaltung versprach länger zu dauern.
»Mylady, ich bin tief betrübt ob des Vorgefallenen, dochleider mußten wir feststellen, daß Herr Cunningham, ihr Intimus und langjähriger Gehilfe, in kriminelle Geschichten größeren Ausmaßes verstrickt war.«
»Und jetzt wollen Sie vermutlich meine russischen Asternate schließen?« fragte die Lady leise. »Herrje, was soll aus den Kindern werden? Sie haben sich doch gerade erst an ein normales Leben zu gewöhnen begonnen. Und wie viele Talente in ihnen schlummern! Ich werde Seiner Majestät ein Bittschreiben senden. Vielleicht wird mir gestattet sein, meine Zöglinge mit ins Ausland zu nehmen.«
»Ihre Befürchtungen sind ganz umsonst«, sagte Fandorin milde. »Den Asternaten wird gewiß nichts geschehen.
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