Fangjagd
Klinik Bern zurück und hastete in sein Büro im ersten Stock, während sein Chauffeur den roten Mercedes in die Garage fuhr. Sein Arbeitgeber erwartete ihn bereits.
Das große Fenster war jetzt hinter riesigen Vorhängen verschwunden. Zwei Stehlampen und eine Schreibtischlampe mit dunklem Schirm bildeten Lichtinseln in dem nur schwach erhellten Raum. Der Professor hörte stehend zu, während Kobler die Ereignisse des Abends in knappen Sätzen schilderte.
„Ausgezeichnet, Bruno!“ meinte Grange zufrieden. „Damit ist ein bis dato offenes Problem sehr befriedigend gelöst. Alle übrigen Störfaktoren können eliminiert werden, sobald die an dem Kongreß teilnehmenden Ärzte wieder abgereist sind. Ich habe beschlossen, unser Abschlußexperiment vorzuziehen.
Sobald es erfolgreich gewesen ist, wird
Terminal zu
einer vollendeten Tatsache.“
„Vorzuziehen?“ wiederholte Kobler erstaunt. „Wann soll es denn erfolgen?“
„Morgen Abend.“
„Während im Bellevue Palace der Empfang stattfindet?“
„Richtig!“ Die sanfte Stimme klang zufrieden. „Diese Gelegenheit ist zu gut, als daß wir sie ungenutzt verstreichen lassen dürfen. Unsere Gegner werden sich ausschließlich auf den Empfang im Bellevue konzentrieren, Bruno. Schließlich ist allgemein bekannt, daß ich daran teilnehmen werde“.
„Aber dann können Sie die Versuchsergebnisse nicht selbst verfolgen…“
„Du bist durchaus dazu fähig, sie selbst zu überwachen, Bruno.
Was die Ergebnisse betrifft, kann ich den Leichnam untersuchen, wenn ich aus Bern zurückkomme. Wie du weißt, haben wir bisher mit Patientinnen experimentiert, weil Frauen biologisch widerstandsfähiger sind als Männer. Diesmal lege ich jedoch Wert auf einen Patienten als Versuchsperson.“
„Da weiß ich gleich einen Kanditaten, Herr Professor. Wir haben übrigens feststellen müssen, daß dieser Patient uns hinters Licht geführt hat. Heute Nachmittag ist er für einige Stunden in einen anderen Raum verlegt worden, damit sein Zimmer gründlich geputzt werden konnte. Als das Lüftungsgitter abgenommen wurde, um die Tonbandspule auszuwechseln, haben wir dahinter eine Handvoll Natriumamytalkapseln gefunden. Das bedeutet, daß dieser Patient oft nicht – wie eigentlich vorgesehen – ruhig gestellt gewesen ist. Er kann alles mögliche mitbekommen haben“.
Kobler nahm eine Krankenakte aus seiner Schreibtischschublade, schlug die erste Seite mit Name und Photo des Patienten auf und legte den Ordner unter die Schreibtischlampe, damit der Professor beides sehen konnte.
„Ausgezeichnet! Einverstanden!“
Das Photo zeigte einen weißhaarigen alten Mann mit markanten Gesichtszügen und einer Hakennase. Darüber stand in roter Schreibmaschinenschrift der unterstrichene Name des Patienten:
Jesse Kennedy.
30
Samstag, 18. Februar.
An diesem Morgen rief Newman von sich aus beim Zimmerservice an, um ein reichhaltiges Frühstück zu bestellen. Das tat er aus Mitgefühl Nancy gegenüber, die am Vortag sehr viel mitgemacht hatte, außerdem wollte er ungestört mit ihr reden können, denn heute war der Tag der unumgänglichen Konfrontation.
Nancy stand auf und zog die Vorhänge zurück. Sie betrachtete die Aussicht, während sie in ihren Morgenrock schlüpfte. Dann blieb sie mit verschränkten Armen nachdenklich am Fenster stehen, bis Newman hinter sie trat und sie um die Taille faßte.
„Sieh dir das an, Bob! Kein gutes Omen, was?“
Der Nebel war zurückgekommen, ein schmutziggraues Wattemeer, das von der Aare heraufkroch und bald die ganze Stadt mitsamt ihren Lauben einhüllen würde.
„Komm frühstücken“, forderte Newman die Amerikanerin auf und zog sie vom Fenster weg. „Es gibt Rührei mit Schinken, Cornflakes, Orangensaft, Käse, Marmelade, Croissants, Schwarzbrot – was du willst!“ Er schenkte Kaffee ein. „Wie hast du geschlafen?“ fragte er, als sie sich gegenübersaßen.
„Miserabel – aber ich bin schrecklich hungrig …“
„Du hast gestern abend nichts mehr gegessen. Warum hast du nicht schlafen können?“
„Ich hab’ immer wieder an dein Gespräch mit Seidler in dem unheimlichen alten Haus denken müssen. Du hast mir einiges davon übersetzt – aber nicht alles, weil du Rücksicht auf mich nehmen wolltest. Das war nett von dir, aber du weißt anscheinend nicht, daß ich ziemlich gut Deutsch kann. Es ist in der Schule meine zweite Fremdsprache gewesen, und als wir uns kennengelernt haben, war ich gerade von einem mehrwöchigen
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