Fangjagd
Tweed fest und lehnte sich zurück, um seinen Kaffee zu trinken.
„Wen willst du besuchen?“ fragte Nancy, als Newman in ihrem Zimmer den Telefonhörer auflegte. „Du hast keinen Namen genannt.“
„Bis heute Abend dieser Empfang beginnt, will ich noch etwas Unruhe stiften – vielleicht dreht dann jemand durch und macht einen Fehler. Ich muß jetzt fort, um damit anzufangen. Du bleibst bitte hier, bis ich zurückkomme…“
Wenige Minuten später verließ er das Bellevue Palace durch den Hauptausgang. Feuchter Nebel schlug ihm entgegen.
Newman ging zum Bundeshaus Ost und ließ sich zu Hauptmann Lachenal hinaufbegleiten. Nachdem der junge Uniformierte, der den Besucher begleitet hatte, die Tür hinter sich geschlossen hatte, stand Lachenal, der dunkle Ringe unter den Augen hatte, von seinem Schreibtisch auf. Newman knöpfte seinen Mantel auf, ohne ihn jedoch auszuziehen.
„Manfred Seidler ist tot“, sagte er schroff, um mit einem Paukenschlag zu beginnen.
„Großer Gott! Davon hab’ ich nichts gewußt, das kann ich beschwören!“
„Er ist vergangene Nacht im Jura ermordet worden. Sie haben nach ihm gefahndet. Ich bin gestern dabei gewesen – Oberst Signer übrigens auch –, als ein Scharfschütze ihn mit zwei Schüssen erledigt hat. Sind Sie Signer unterstellt?“
„Sind Sie übergeschnappt? Natürlich nicht!“
„Aber vielleicht indirekt – über einen langen Befehlsweg, den Sie gar nicht mehr bis zu seinem Anfang zurückverfolgen können…“
„Das ist ausgeschlossen, Bob. Sie wissen gar nicht, wovon Sie reden.“
„Das im Militärbezirk Thun gestohlene Gewehr mit Zielfernrohr ist vermutlich die Mordwaffe gewesen. Wer sind die Thuner Scharfschützen? Es kann nicht allzu viele geben – und sie haben Unterlagen, aus denen solche Angaben zu entnehmen sind. Lassen Sie mich einen Blick in Ihre Liste werfen? Oder wollen Sie versuchen, die Sache zu vertuschen?
Wir sprechen von Mord, von einem brutalen Mord, Lachenal!“
„Insgesamt sind sogar zwei Gewehre mit Zielfernrohr gestohlen worden – beide im Bezirk Thun“, antwortete der Hauptmann leise. „Wir haben uns bemüht, den zweiten Diebstahl nicht an die große Glocke zu hängen. Er wirft ein schlechtes Licht auf die Schweizer Armee…“
„Folglich haben Sie das Verzeichnis der Scharfschützen erst vor kurzem eingesehen“, stellte Newman fest. „Haben Sie’s vielleicht sogar noch hier in Ihrem Dienstzimmer? Ich möchte es unbedingt einsehen. Vielleicht glaube ich Ihnen sogar, wenn Sie mir diese Liste zeigen.“
„Sie haben die Wahrheit gesagt, was Seidler betrifft?“
„Sie haben wirklich nichts davon gewußt? Warum hängen Sie sich nicht ans Telefon? Rufen Sie Beck an! Fragen Sie ihn, ob ich…“
„Die Verbindung zur Bundespolizei ist im Augenblick gestört.“
Eine hübsche Umschreibung für die Tatsache, daß Beck und der Hauptmann nicht mehr miteinander sprachen. Lachenal hatte offenbar große Sorgen, er schien mit seinem Latein am Ende zu sein. Jetzt trat er wortlos an den Stahlschrank in der Ecke, zog einen Schlüsselring aus der Tasche, sperrte die Tür auf und kam mit einem roten Ordner an seinen Schreibtisch zurück. „Dieses Verzeichnis ist geheim…“
„Seit wann ist brutaler Mord geheim?“
Lachenal blätterte in dem Ordner. Die maschinengeschriebenen Seiten schienen alphabetisch eingeheftet zu sein, denn er machte erst ziemlich weit hinten halt. Dort mußte sich der Buchstabe T wie Thun befinden.
Der Nachrichtenoffizier nickte Newman zu, hinter den Schreibtisch zu kommen. Er hielt den Ordner so fest, daß Newman keine Seite umblättern konnte. Im Bezirk Thun gab es fünf Scharfschützen – ein hoher Prozentsatz, schätzte Newman.
Hinter einem Namen war ein Sternchen eingetragen. Er deutete auf den Namen: Bruno Kobler.
„Was bezeichnet das Sternchen? Oder ist das auch streng geheim?“
„Mit Gewehr und Pistole qualifiziert. Ein hervorragender Schütze.“
„Begreifen Sie die Querverbindung?“ erkundigte Newman sich.
„Kobler ist Professor Granges Mitarbeiter. Und Granges Finanzier und Förderer ist Viktor Signer, der bei der Hinrichtung von Manfred Seidler anwesend gewesen ist!
„Hinrichtung?“ Lachenal war entsetzt.
„Durch ein einköpfiges Erschießungskommando, einen Scharfschützen. Und ich habe Signer im Verdacht, den Schießbefehl gegeben zu haben. Denken Sie darüber
nach,
überprüfen Sie meine Angaben, Lachenal. Ich muß jetzt weiter!“
„Ich möchte Ihnen noch einige Fragen
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