Fangjagd
Bettdecke zurück und setzte sich auf. „Bob! Sieh dir das bloß an…“
Er blinzelte ins ungewohnt helle Licht. Draußen herrschte strahlender Sonnenschein. Nachdem er in seinen Bademantel geschlüpft war, trat er gähnend neben Nancy ans Fenster. Kein Nebel. Kaum Verkehr auf den sonntäglichen Straßen. Nancy faßte ihn am Arm und deutete nach links.
„Ist die Aussicht nicht herrlich? Und das alles hätten wir vielleicht nie gesehen, wenn das Wetter sich nicht gebessert hätte.“
Scheinbar zum Greifen nahe ragten die Berner Alpen vor ihnen auf: ein mächtiger Wall aus schneebedeckten Bergriesen vor strahlend blauem Himmel. Newman schlang Nancy einen Arm um die Taille und drückte sie an sich. Die lange Nachtruhe und diese traumschöne Aussicht hatten offenbar entspannend auf sie gewirkt.
„Der große Brocken dort drüben ist die Jungfrau, glaube ich“, sagte er. „Die richtige Form hat er jedenfalls…“
„Ist die Aussicht nicht wundervoll? Was hältst du davon, wenn wir hier frühstücken?“
„Um diese Zeit gibt’s unten sowieso längst kein Frühstück mehr!“
In diesem Augenblick läutete das Telefon. Nancy tänzelte durchs Zimmer, nahm den Hörer ab und flötete ihren Namen.
Als ihr Gesichtsausdruck und ihr Tonfall sich schlagartig änderten, wußte Newman sofort, daß irgend etwas Schlimmes passiert sein mußte. Nancy stand hochaufgerichtet am Telefon, war kreidebleich geworden und sprach mit harter, aggressiver Stimme auf ihren unsichtbaren Gesprächspartner ein.
„Nein, das dürfen Sie nicht! Ich verbiete es Ihnen! Sie… Sie Schweinehund!… Ich nenne Sie einen Schweinehund, solange ich will – denn Sie sind einer…! Davon glaube ich Ihnen kein Wort… Ich schlage einen Riesenkrach, darauf können Sie Gift nehmen! Unterbrechen Sie mich nicht! Verdammter Mörder!
„Ihre Stimme klang plötzlich eisig gelassen. „Dafür werden Sie bezahlen – das verspreche ich Ihnen!“
Im nächsten Augenblick hatte Nancy den Hörer auf die Gabel geknallt. Sie drehte sich nach Newman um, der sie fragend und besorgt ansah. Ihr Gesicht war zu einer Maske erstarrt. Sie ging langsam zwischen Tür und Fenster auf und ab, wobei sie wie ein kleines Mädchen am Daumennagel knabberte.
„Erzähl mir, was passiert ist“, forderte er sie ruhig auf.
Nancy verschwand im Bad und schloß die Tür hinter sich.
Newman zog sich rasch an und war eben dabei, seine Schuhbänder zu binden, als die Amerikanerin aus dem Bad kam, in dem er Wasser laufen gehört hatte. Sie hatte sich gewaschen und Make-up aufgelegt. Jetzt bewegte sie sich wie eine Schlafwandlerin.
„Was ist passiert?“ fragte Newman energisch. „Setz dich hin und pack endlich aus!“
„Sie haben Jesse umgebracht…“ Nancy sprach ungewohnt monoton. „Kobler hat angerufen. Er hat behauptet, Jesse habe einen Herzanfall erlitten und sei sofort tot gewesen. Er ist bereits feuerbestattet worden…“
„Das dürfen sie nicht einfach! Wer hat den Leichenschein unterschrieben! Hat Kobler davon gesprochen?“
„Ja, er hat gesagt, Grange habe den Leichenschein unterschrieben. Angeblich haben sie ein von Jesse unterzeichnetes Schriftstück, in dem er nach seinem Tode eine Feuerbestattung verfügt.“
„Damit kommen sie nicht durch! Das geht alles viel zu schnell.
Mein Gott, heute ist doch Sonntag!“
„Auch dafür haben sie vorgesorgt. Kobler hat mir erklärt, Grange habe festgestellt, daß Jesse an Cholera erkrankt gewesen sei. Das könnte eine sofortige Feuerbestattung rechtfertigen. Ich glaube jedenfalls, daß das eine mögliche Begründung wäre. Ich kenne die Schweizer Bestimmungen allerdings nicht…“
Nancy sprach mit mechanischer Stimme, die Newman an ein langsam laufendes Tonbandgerät erinnerte. Sie saß still da und hatte die Hände im Schoß gefaltet, aber als sie jetzt zu Newman aufsah, erschrak der Engländer fast über ihren eisigen Blick.
„Was hältst du davon, wenn ich jetzt Kaffee bestelle?“
erkundigte er sich.
„Das wäre nett. Nur Kaffee, sonst nichts. Aber du läßt dir ein paar Sandwiches bringen, ja? Du bist sicher hungrig…“
Sie wartete, bis er seine Bestellung beim Zimmerservice aufgegeben hatte, bevor sie ihm eine Frage stellte. „Bob, kannst du mir sagen, ob Signer tatsächlich mit diesem Unternehmen Terminal zu tun hat, von dem Dr. Nagel gestern abend gesprochen hat?“
„Ja, davon bin ich inzwischen überzeugt. Bis der Kaffee gebracht wird, möchte ich dir etwas zeigen.“ Er nahm dankbar die
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