Fangschuss
Irgendeine große Sache, läuft noch nicht lange. So alle paar Wochen. Die Übergabe findet außerhalb statt. Immer am Wochenende. Keiner weiß genau wo. Und keiner weiß, wie man an den Deal rankommt. Alles sehr geheim.«
»Wo kriege ich mehr Informationen?«
»Ich werde mich umhören. Wenn keiner was weiß, weiß immer irgendeiner etwas. Aber pass auf, Kleiner.« Sie klang plötzlich ungewohnt ernst. »Die Sache könnte gefährlich sein. Das sind keine kleinen Fische, die bestellen ziemliche Mengen. Da ist viel Geld im Spiel, und viel Geld heißt immer auch viel Ärger, wenn man nicht vorsichtig ist.«
»Ich weiß. Ich frage mich, ob Philipp deswegen verschwunden ist. Ob ihm bei der Übergabe etwas zugestoßen ist.«
Miranda zuckte mit den Schultern. »Kann gut sein, solche Leute verstehen keinen Spaß. Aber um das rauszufinden, musst du erst einmal in Erfahrung bringen, wo der Deal stattfand, nehme ich an.«
Wo sie recht hatte, hatte sie recht.
»Ich höre mich mal um. Man erfährt so einiges, wenn man als Frau einsam in einer Bar sitzt und Baileys trinkt.«
Ich legte eines von Philipps Fotos vor sie hin.
»Ich ruf dich später an«, sagte Miranda, und ich ließ einen Zwanziger und etwas Kleingeld auf dem Tresen zurück. Sie flatterte dankend mit ihren falschen Wimpern, während sie mit glamouröser Eleganz an ihrem Drink nippte und nach dem Foto griff.
In Gedanken versunken folgte ich der Langstrasse, die allmählich zum Leben erwachte. Es war bereits kurz vor Mittag, und die Restaurants und Schnellimbisse hängten ihre Tafeln heraus, auf denen in zum Teil abenteuerlichem Deutsch kryptische Menüs feilgeboten wurden. Eingeklemmt zwischen zwei von diesen Lokalen befand sich ein schicker Kleiderladen, der sich einem jungen, urbanen Publikum anbiederte und gleichzeitig ein Zeugnis des verzweifelten Versuchs war, das Quartier aufzuwerten und zur Shoppingmeile für Yuppies umzukrempeln. Doch eingekauft wurden hier weiterhin nur die gängigen Sonderangebote − Drogen und Sex − und der Laden war immer leer, wenn ich daran vorbeikam. Was die jungen und urbanen Verkäufer nicht davon abhielt, weiterhin enthusiastisch zu gucken, sobald jemand vor dem Schaufenster stehen blieb. Ich passierte den Lebensmittelladen an der Ecke und die davor angeketteten und herzerweichend winselnden Hunde, und als ich ein paar Schritte weiter am Geschäft meiner Mutter vorbeikam, spähte ich wie immer kurz durch die Schaufensterscheiben. Der Laden florierte, und das war allein ihr zu verdanken.
Mein Vater war damals als Koch für eines der ersten indischen Spezialitätenrestaurants in die Schweiz geholt worden. Schnell lernte er, dass ›scharf‹ indisch keineswegs gleichzusetzen war mit ›scharf‹ schweizerisch und dass der Kantinenrenner Riz Casimir mehr mit matschigen Dosenfrüchten zu tun hatte als mit würzigem Curry. Mitte der Achtziger hatte er sich dann selbstständig gemacht und das Geschäftslokal in der Nähe des Helvetiaplatzes gepachtet. Zu der Zeit brach auf Sri Lanka der Bürgerkrieg aus und Tamilen flohen scharenweise in die Schweiz, wo sie als Asylanten in Heimen unterkamen, bevor man entdeckte, wie widerstandslos sie sich in Restaurantküchen herumdirigieren ließen und wie zuverlässig sie Pfannen schrubbten. Heute käme es keinem mehr in den Sinn, der nicht gerade eine pathologische Vorliebe für schwere Springerstiefel und kahl rasierte Schädel hat, etwas gegen Tamilen zu haben, doch damals war die Entrüstung groß. Sie entfachte sich in erster Linie an den ausgebeulten Lederjacken und Goldkettchen, welche die Flüchtlinge zusammen mit zu engen Bluejeans und weißen T-Shirts beinahe uniformmäßig trugen, man war empört über den angeblich verschwenderischen Umgang mit Steuergeldern. Dass George Michael zu der Zeit genauso angezogen auftrat, schien hingegen niemanden zu stören.
Wir blieben von diesen Ressentiments weitgehend verschont, was nicht nur mit unserer Art uns zu kleiden zu tun hatte. Inder waren damals wie heute eine beinahe unsichtbare Ethnie, angepasst und vor allem unauffällig. Wenn der Einheimische auf einen richtigen Inder stieß, dann freute er sich, denn das erinnerte ihn an Bollywood und die bunt-fröhlichen Filme mit der ewig gleichen Geschichte und den überdrehten Tanzszenen, die manchmal in den Kinos gezeigt wurden, an Curry und das Mangolassi aus der Migros, den Yogakurs und die Bezeichnungen für all die Verrenkungen in Sanskrit, den Selbstfindungstrip durch Rajastan. Und
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