Fangschuss
unsere Blicke trafen, errötete sie blitzartig, senkte den Kopf und starrte gebannt in das siedende Öl. Meine Mutter lächelte zuckersüß, ihr Blick wanderte von mir zu Manju und wieder zurück. Es war nicht zum Aushalten.
»Manju kocht ein hervorragendes Rogan Josh«, sagte meine Mutter.
»Oh, vielen Dank, Mrs. Kumar.«
»Vijay liebt Lammcurry über alles.«
»Du brauchst nicht so langsam zu sprechen und jede Silbe einzeln zu betonen. Manju ist ja nicht zurückgeblieben. Oder, Manju?«
Manju kicherte erstmals. »Nein, Mr. Vijay, sicher nicht. Ich habe soeben die Highschool abgeschlossen. Später würde ich gerne studieren …«
»Das hat Zeit«, fiel ihr meine Mutter rasch ins Wort. »Jetzt bist du erst mal hier und lernst die Schweiz kennen. Vijay zeigt dir sicher gerne die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Vielleicht wäre auch ein Ausflug …«
»Ma!«
»Vielen Dank, Mrs. Kumar, ich bin sehr gerne hier.«
Manju sprach mit einem starken Akzent und merkwürdiger Intonation, zudem bedankte sie sich ununterbrochen. Ich wusste, dass sie Varanasi rasch abstreifen würde, wenn sie länger blieb. Und bei der Entschlossenheit, die meine Mutter an den Tag legte, würde sie genau das tun, daran bestand kein Zweifel. Sie würde sich anpassen, integrieren, der Akzent würde schwächer werden und schon bald wären auch die Strickjacke, der Sari, die schwarze Hornbrille und die alberne Frisur verschwunden.
»Wie alt ist sie wirklich?«, flüsterte ich meiner Mutter zu.
»Einundzwanzig. Im besten Alter.« Sie deutete mit der Hand eine Wölbung über dem Bauch an und guckte mich vielsagend an. Ich schluckte leer.
»Eure Horoskope passen perfekt zueinander.«
»Okay, ich muss los«, sagte ich hastig. »Ich bin in ein paar Jahren zurück.«
Ich überprüfte am Bancomat beim Helvetiaplatz meinen Kontostand, was ich eigentlich ursprünglich vorgehabt hatte, bevor ich in die kupplerischen Fänge meiner Mutter geraten war. Er war bedenklich, aber noch nicht besorgniserregend tief. Miranda hatte sich noch nicht gemeldet. Ich hatte auch gar nicht erwartet, dass sie in so kurzer Zeit etwas herausfinden würde. Also beschloss ich, der Kiffer-WG nochmals einen Besuch abzustatten und den Nachnamen Philipps in Erfahrung zu bringen. Vielleicht konnte mir seine Familie weiterhelfen.
Natürlich war die Tür immer noch abgeschlossen, doch diesmal kam mir der Zufall nicht zu Hilfe. Ich ließ den Finger auf der Klingel und zählte bis zehn, doch nichts tat sich. Auch in den anderen Stockwerken regte sich nichts. Wahrscheinlich frönte die blonde Dame von vorhin ihrem dringend benötigten Schönheitsschlaf. Ich war genervt, obwohl ich es mir selbst zuzuschreiben hatte, dass mir nun eine wichtige Information fehlte. Anfängerfehler.
Eine verwahrloste Frau mit strähnigem Haar und einer Bierdose in der Hand wankte an mir vorbei, und ich trat etwas zur Seite. Ihr Gesicht war verheult und sie schimpfte lautstark vor sich hin. Wenn man hier lebte, war man solche Szenen gewohnt. Diese Ecke war die wohl belebteste im ganzen Kreis und gleichzeitig auch die verruchteste. An den Bushaltestellen lungerten die Junkies mit flackernden Blicken herum und lallten Passanten um ein paar Münzen an, meist mit der lächerlich fadenscheinigen Begründung, sie bräuchten das Geld für die Notschlafstelle. Afrikanische Dealer eilten, nach allen Seiten spähend, im Stechschritt vorbei, als suchten sie dringend die nächste Toilette. Manchmal folgte ihnen jemand unauffällig in eine Nebengasse, wo er mit dem Nötigsten versorgt wurde. Das Kokain, das sie zu kleinen, halbgrämmigen Kügelchen verpackt im Mund herumtrugen, schluckten sie im Falle einer Polizeikontrolle einfach hinunter. Was nicht nur die Erklärung für die Wasserflasche war, die sie ständig mit sich herumschleppten, sondern auch für den etwas hamsterbackigen Gesichtsausdruck. Tauchte ein Polizeiwagen auf, zerstoben sie in alle Himmelsrichtungen und die Kreuzung war urplötzlich menschenleer und wirkte beinahe verschlafen.
Auf der anderen Straßenseite befand sich ein Kleiderladen, der seine Ware im Freien präsentierte. Sie war jedoch derart unansehnlich, dass nicht einmal die Junkies auf die Idee kamen, sie zu klauen. Die Geschäftsführung jedenfalls hatte keine Bedenken, die Klamotten ungesichert und unbewacht draußen hängen zu lassen. Ich ging weiter und bog wenig später in die Kernstrasse ein, die streckenweise mehr Gässchen als Straße war. Hier tummelten sich die Dealer
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