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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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sowieso musste das alles gut sein fürs Karma. Oder hieß es Korma? Jedenfalls mochte man Inder grundsätzlich, im Gegensatz zu anderen fremdländischen Bevölkerungsgruppen, die von politischen Kreisen, die ihrerseits berüchtigt waren für den Hang zur unreflektierten Verallgemeinerung, der Dealerei und Zuhälterei bezichtigt wurden und ohnehin dauernd im Konflikt mit dem Gesetz standen. Anderen Zuwanderern wiederum nahm man übel, dass sie das Lohnniveau senkten, Topjobs an sich rissen, immer alles besser wussten und zu laut und zu perfekt Deutsch sprachen. Inder blieben von rassistischen Attacken dieser Art glücklicherweise verschont.
    Mein Vater hatte also diesen Laden, der mehr ein Kiosk war. Und meine Mutter, die sich bis dahin einzig um den Haushalt und nach meiner Geburt zusätzlich noch um mein Wohlergehen gekümmert hatte, witterte die Chance ihres Lebens. Als sie die Möglichkeit erkannte, mit einem Schritt aus dem Schatten ihres Mannes zu treten und ein selbstbestimmtes Leben zu führen, verbannte sie resolut ihr Heimweh und die Hoffnung, die sie während der ganzen einsamen Jahre in der Fremde am Leben erhalten hatte, nämlich irgendwann als weit gereiste, wohlhabende und entsprechend angesehene Frau nach Indien und in den Schoß ihrer Familie zurückzukehren. Eine immer wieder bis ins kleinste Detail ausgemalte Situation, die der Lohn für all die vorangegangenen Entbehrungen sein sollte. Diese Hoffnung verblasste im Lauf der Zeit. Und doch wusste ich, dass sie nichts anderes als Indien meinte, wenn sie »Zuhause« sagte, und manchmal ertappte ich sie dabei, wie sie gedankenverloren vor sich hin starrte, und wenn ich sie dann antippte, zuckte sie zusammen und ihr Blick schien von weit her zu kommen.
    Innerhalb weniger Jahre hatte sie das Geschäft, das unter ihrer strengen Hand zum indischen Lebensmittelladen mutierte, zu großem Erfolg geführt. Im Verlauf der Neunziger zogen immer mehr Inder in die Stadt und versorgten sich bei ihr mit den damals hierzulande kaum erhältlichen asiatischen Esswaren. Irgendwann kam sie dann auf die Idee, indische Menüs billig über die Gasse zu verkaufen. Eine wahre Goldgrube, wie sich herausstellte. Mit der Zeit verpflegten sich nicht nur Inder bei ihr, sondern auch all diejenigen aus dem Quartier, die Daal, Tandoori, Vindaloo und Biryani nicht für die Mitglieder einer Castingband hielten.
    Während meine Mutter also in ihrem Laden aufblühte, blieb mein Vater immer öfter zu Hause, versank im Sessel, die Flasche Amrut stets in Reichweite, und studierte tagealte Ausgaben der Times of India, die zweimal pro Woche zusammen mit den Gewürzen, tiefgefrorenen Fischen und Gemüse aus Mumbai importiert wurde.
    Meine Mutter war eine etwas füllige, klein gewachsene Frau, die ihre mangelnde Körpergröße mit resolutem Gebaren kompensierte. Immer noch trug sie bunte Saris, zu Hause und auch bei der Arbeit. Den lokalen Textilprodukten stand sie seit jeher kritisch gegenüber, vor allem solchen, die für junge Frauen fabriziert wurden, und geradezu kategorisch ablehnend denjenigen, die meine jeweiligen Freundinnen trugen.
    » Hai rabba! Viel zu kurz!«, hatte sie jedes Mal entsetzt gezischt, wenn Annina in einem leichten Sommerkleid zu Besuch kam.
    »Es sind zweiunddreißig Grad.«
    »Und wenn schon. In Indien …«
    »Wir sind aber nicht in Indien, Ma.«
    »Ich hätte mich ja nie getraut, so rumzulaufen. Meine Mutter hätte mich verprügelt und weggesperrt.«
    Ich seufzte.
    »Denkt man nicht …?«
    »Nein, Ma, denkt man nicht.«
    »Aber in dieser Gegend?«
    »Nein, niemand denkt, dass sie auf der Straße arbeitet. Alle Mädchen laufen so rum.«
    »Hai rabba!«, stieß sie dann aus und durchbohrte mich mit ihrem stechenden Inderinnenblick. Natürlich wurden diese Konversationen immer im Flüsterton und in der Küche geführt, während mein Vater unbekümmert mit Annina am Esstisch plauderte und an seinem Whisky nippte. Und dann stolzierte meine Mutter übers ganze Gesicht strahlend mit einer Schüssel dampfenden Hühnercurrys hinaus und spielte die perfekte Gastgeberin.
    »Annina, Liebes, du magst doch scharf gewürzte Auberginen?«
    Niemand bemerkte dabei die missbilligenden Blicke, die sie auf Anninas nackte Schenkel warf. Niemand außer mir.
    Natürlich war ihr schon immer klar gewesen, dass aus Annina und mir nie etwas werden würde. Immerhin müsste sie keine Ehe für mich arrangieren, hatte sie eines Tages geseufzt, der Westen habe eben doch sein Gutes. Aber es klang

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