Fangschuss
keine Bleichcreme gebraucht hatte.
Ich starrte mich an und dann den Duschvorhang. Er hing wieder bewegungslos da, doch gerade eben hatte er das nicht getan. Ganz langsam wandte ich mich um und hätte gern tief Atem geholt. Doch dazu war keine Zeit. Ich riss den Vorhang zur Seite, und sie zuckte zusammen, drehte panisch wimmernd am Wasserhahn, dann traf mich der eiskalte Strahl mitten ins Gesicht. Ich schlug ihr den Duschkopf aus der Hand und hielt sie fest, während der Schlauch um uns herumtanzte wie eine Schlange auf Ecstasy und uns dabei klitschnass spritzte. Endlich schaffte ich es, das Wasser abzudrehen, ohne dabei die junge Frau loszulassen. Sie schrie wie ein gequältes Tier und wand sich unter meinem Griff, doch ich ließ nicht locker.
»Ich war es nicht!«, flüsterte ich eindringlich. »Glaub mir, ich war es nicht.«
Sie bäumte sich nochmals auf, und ich packte sie fester, doch ihre Kraft ließ rasch nach, sie wehrte sich immer weniger, schließlich erschlaffte sie und sank schwer atmend gegen die verkachelte Wand. Ihre blassgrauen Augen waren weit aufgerissen und glitzerten im Neonlicht des Badezimmers beinahe silbern. Sie hatte schwarzes Haar und volle Lippen, ihr Gesicht war rundlich, was nicht zuletzt den breiten Wangenknochen zu verdanken war, der Körper kräftig, ein wenig klobig.
»Ich war es nicht«, sagte ich erneut und gab ihre Handgelenke frei. Ihre Arme sanken kraftlos hinunter und sie kauerte sich in die Badewanne, nass und zitternd wie ein Vogel, der knapp einen Gewittersturm überlebt hat. Ihr Blick war beängstigend leer.
»Du bist Murats Schwester?«
Sie reagierte nicht. Ich strich ihr das Haar aus dem Gesicht, hielt ihre Hand und blieb neben ihr auf dem Badewannenrand sitzen, bis sie sich allmählich aus ihrer Erstarrung löste. Sie blickte mich an, als befände sich ihr Geist irgendwo außerhalb.
»Wer bist du?«, fragte sie mit tonloser Stimme.
»Vijay Kumar, ich bin ein Freund von Murat. Er wollte mir etwas Wichtiges mitteilen, deswegen bin ich hergekommen.«
»Murat ist tot.«
»Ich weiß. Es tut mir schrecklich leid.«
»Murat ist tot.«
Sie sagte es mit einer Eindringlichkeit, als müsste sie sich selbst überzeugen. Ich streichelte ihre Hand mit meinem Daumen. Sie war eiskalt.
»Wie heißt du?«
»Zamira.«
»Weißt du, wer das getan hat, Zamira?«
Sie schüttelte abwesend den Kopf.
»Du musst die Polizei rufen.«
Erschrocken zuckte sie zusammen und schüttelte den Kopf heftiger.
»Dein Bruder ist tot.«
»Aber er war illegal hier.«
»Das spielt jetzt auch keine Rolle mehr.« Ich bereute augenblicklich, was ich gesagt hatte.
»Du willst doch auch, dass sein Mörder gefasst wird«, fügte ich in beschwichtigendem Tonfall hinzu.
Zamira nickte. »Wer tut so etwas?«, flüsterte sie.
Es brach mir das Herz. Es hatte keinen Sinn, ihr jetzt die ganze Geschichte mit Ramiz zu erzählen, sie war bereits verstört genug. »Du rufst jetzt am besten die Polizei.«
Sie nickte und erhob sich. Ihre Bluse war völlig durchnässt, ebenso der Rock und die Strümpfe. Ich reichte ihr ein Handtuch und verließ das Badezimmer. Ich war bereits in der Diele, als es mich wie ein Hammerschlag traf. Unverzüglich machte ich kehrt und klopfte an die Badezimmertür. Zamira streckte den Kopf heraus und ich erschrak, als ich in die Hoffnungslosigkeit in ihrem Gesicht blickte.
»Und du hast mich hier nie gesehen.«
»Wieso?«
»Frag nicht. Erzähl einfach niemandem, dass ich hier war.«
»Ich will aber wissen weshalb.«
Ich seufzte. Halb bewusstlos war sie mir lieber gewesen. »Weil ich Detektiv bin und einen Fall lösen muss. Es geht um einen verschwundenen Jungen, und Murat wollte mir dabei helfen, ihn zu finden. Die Zeit drängt, die Polizei würde mich nur aufhalten.«
»Detektiv?« Sie hob zweifelnd eine Augenbraue. Irgendwie schien diese Berufsbezeichnung in Kombination mit meiner Person die Leute nicht sehr zu überzeugen.
»Genau.«
Sie knetete ihre Unterlippe und überlegte. »Okay, dann sage ich nichts.«
»Danke.«
»Dafür musst du Murats Mörder finden.«
»Die Polizei …«
»Fuck Polizei. Du.«
»Aber …«
»Versprichst du es?«
Nicht schon wieder. Ich nickte flüchtig.
»Mann, wenn du dein Versprechen nicht hältst, bringe ich dich eigenhändig um.«
Ich nickte viel überzeugender.
Ich verließ die Wohnung, ohne nochmals in die Küche geschaut zu haben, und trotzdem verfolgte mich das Bild des auf dem Boden liegenden Murats. Das Blut war beinahe
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