Fangschuss
mit wütender Miene aus dem McDonald’s-Restaurant und ging entschlossen auf den Fotoautomaten gegenüber zu. Ich hatte einen Kloß im Hals, als ich plötzlich die Klinge in seiner Hand aufblitzen sah. Er hatte das Messer mit einer beiläufigen Schlenkerbewegung aus dem Ärmel geschüttelt. Ich musste unweigerlich an Murat denken. Winkler näherte sich mit großen Schritten dem Automaten, dann schoss sein Arm hervor. Es war eine Angelegenheit, die keine zwei Sekunden dauerte. Die Verkäuferin schrie entsetzt auf. Der Vorhang war völlig zerfetzt.
Ich blieb noch einen Moment lang im Schutz der Blumen, dann erhob ich mich mit steifen Knien.
»Macht dann zweiundsechzig Franken.« Die Verkäuferin lächelte zuckersüß und streckte mir den Blumenstrauß entgegen, ein Ungetüm in schrillen Farben. Jetzt war es an mir, irritiert zu gucken. Doch sie lächelte unbeeindruckt weiter, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als den Strauß zu kaufen. Sechs Kebabs und zwei Colas dachte ich. Oder fünfzehn Bier. Zähneknirschend zählte ich ihr das Geld in die Hand. Die Frau beförderte mich in einen unfreiwilligen Ramadan.
»Ein bisschen mehr Rot wäre schön gewesen.« Meine Mutter hielt den Blumenstrauß mit ausgestrecktem Arm vor sich hin und betrachtete ihn kritisch, während ich seufzend in eine Lammfleischrolle biss. »Du hättest ihn besser Manju geschenkt.«
»Wo ist sie überhaupt?« Der Laden war leer bis auf eine Kundin in mittlerem Alter, die gerade eingehend eine Packung Hennapulver begutachtete. Jetzt hob sie suchend den Kopf, und als sie uns entdeckte, hob sie die gefalteten Hände zur Stirn, verbeugte sich leicht und sagte:
»Namaste.« Mit Sankt Galler Akzent.
Ich rollte mit den Augen, während meine Mutter ein Lächeln aufsetzte und dienstleistungsorientiert auf die Frau zuging. Ich wandte mich ab, trank einen Schluck Nimbu Pani, stark gesüßte Limettenlimonade, und studierte abwesend die verschiedenen Gewürzmischungen, die auf dem Regal neben mir aufgereiht waren. Nochmals ließ ich die Geschehnisse des Tages vor meinem inneren Auge passieren. Es war eine ziemlich triste Revue, kein Cancan, keine Rüschenkleider, dafür viel Regen und die quälende Frage, ob ich mit den beiden Fällen klarkam oder ob mir die Sache nicht langsam über den Kopf wuchs. Ungefährlich war sie schon lange nicht mehr, denn wie es schien, waren meine Gegner um einiges humorloser und undiplomatischer, als ich angenommen hatte. Ich fragte mich, was sie zu verbergen hatten und wie die ganze Sache zusammenhing. Ich beschloss, am nächsten Morgen als Erstes Frau Stadelmann einen kurzen Besuch abzustatten, um sie über die neusten Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.
Die Tür ging auf und eine junge Frau mit schulterlangem, schwarz glänzendem Haar trat ein. Sie war ausnehmend hübsch, trug ein sommerlich geblümtes Kleid, das in der Preisklasse irgendwo zwischen H&M und Miss Sixty anzusiedeln war, und lächelte mich an, als würden wir uns kennen. Dazu blinzelte sie in einem fort.
»Hey!«
»Hallo!«
»Haben Sie was im Auge?«
»Neue Kontaktlinsen.«
Jetzt endlich erkannte ich sie. Es hatte nicht Monate gedauert, nicht Wochen, Manju hatte Varanasi innert weniger Tage abgestreift, zumindest äußerlich. Ein weiteres Opfer der Globalisierung, dachte ich, wenn auch ein ausnehmend attraktives. Das Ganze hatte auch seine guten Seiten. Begeistert malte ich ihr aus, wie ich ihr bald an einem lauschigen Abend meinen Kreis zeigen würde: Si o No, Longstreet, Xenix, Centralbar, Daniel H. und dann Bar 3000 und Zukunft. Doch Manju lächelte nur irritiert über meinen plötzlichen Enthusiasmus und meinte: »Mal schauen. Vielleicht.« Zudem müsse sie jetzt den Chapatiteig vorbereiten.
»Vielleicht?«, äffte ich sie fassungslos nach, als ich nach der krachenden Bruchlandung meine Sprache wiedergefunden hatte. Sie zuckte nur mit den Schultern und lächelte vage, dann wandte sie sich ab und ließ mich wie einen begossenen Pudel stehen. Aus den Augenwinkeln registrierte ich das ein wenig zu offensichtliche Blinzeln meiner Mutter in Manjus Richtung. Erst da begriff ich: Verknappung als Promotion. Einer dieser raffinierten Kniffe aus der Frauentrickkiste. Nicht mit mir. Beleidigt schnappte ich mir eine Flasche Amrut vom Regal und verließ wortlos den Laden. Ich würde mich später um Manjus Aufmerksamkeitsbedürfnis kümmern. Im Moment hatte ich genug anderes zu tun.
Freitag
»Was haben Sie herausgefunden?«
Frau von
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