Fantasien der Nacht
… so viel wusste er, wenn ihm auch nicht klar war, wie lange. Er lag auf dem Rücken, und seine nach wie vor hinter seinem Rücken gefesselten Arme waren vollkommen taub. Er versuchte sich aufzusetzen, und der Schmerz, der dabei durch seinen Oberkörper schoss, war mit nichts von dem zu vergleichen, was er je gefühlt hatte.
Er hatte das Gefühl, entzweigerissen zu werden. Er erstarrte in halb sitzender und halb liegender Position. So zu verharren schmerzte jedoch bloß noch mehr, also atmete er tief durch, um Kraft zu sammeln, doch auch das sandte lediglich weitere Pein durch seinen Leib.
Die Zähne zusammenbeißend, quälte er sich weiter nach oben und war erleichtert, als er rechts von sich eine Wand ertastete. Er lehnte sich dagegen und saß dann ganz still da, während der Schmerz allmählich abklang. Ganz verschwand er nicht, denn als das gestaute Blut in seine Arme zurückschoss, begannen sie unerträglich zu pochen, zu kribbeln und zu prickeln.
Er hätte geschrien, wäre er dazu in der Lage gewesen, doch er hatte noch immer das Klebeband über seinem Mund. Seine Augen waren nach wie vor verbunden und seine Knöchel immer noch gefesselt. Seine Lungen fühlten sich sonderbar an, und das nicht nur wegen des stechenden Schmerzes, den er jedes Mal beim Einatmen fühlte. Vielmehr fühlten sie sich an wie nach dem Schwimmen, wenn man etwas Wasser geschluckt hatte.
Er verspürte den Drang zu husten, hatte jedoch Angst, ihm nachzugeben. Wenn er mit dem Klebeband über dem Mund hustete, würde er vermutlich ersticken – besonders wenn das eigenartige Gefühl in seinen Lungen tatsächlich das war, wofür er es hielt. Er fand, dass es sich anfühlte, als würde irgendetwas geradewegs in seiner Brust stecken. Ein Messer, ein scharfkantiges Brett, auf das er bei seinem Sturz gefallen war, irgendetwas in dieser Art.
Und er dachte, dass das, was auch immer da versuchte, seine Kehle emporzukriechen und ihn zu ersticken, möglicherweise Blut war. Falls das zutraf, darüber war er sich im Klaren, dann steckte er wirklich in Schwierigkeiten.
Sie warf die Akte voller Abscheu zu Boden und wandte sich um, um dem kleinen Büro, das sie entdeckt hatte, den Rücken zu kehren. Sie hatte es noch nicht einmal bis ins eigentliche Labor geschafft, das ihrer Vermutung nach hinter der Tür mit dem Vorhängeschloss zu ihrer Rechten lag.
Sie brauchte keine weiteren Enthüllungen als die, die sie hier gefunden hatte. In Daniels Unterlagen war sie auf etwas gestoßen, das er als „Fallstudien“ gekennzeichnet hatte. Tatsächlich handelte es sich um detaillierte Berichte über die Gefangennahme und anschließende Folterung von drei Vampiren.
Zwei waren 1959 von Daniel und seinem Partner William Reinholt eingefangen worden. Das Pärchen wurde als „jung und dementsprechend nicht so stark, wie wir zunächst angenommen haben“ beschrieben. Ihnen wurde „eine größere Menge Blut entnommen, um sie zu schwächen und so die Sicherheit meines Partners und mir zu gewährleisten. Allerdings waren sie nicht imstande, den Blutverlust zu verkraften, und verschieden im Laufe der Nacht.“
Eine weitere Studie handelte von einer Frau, die sich selbst nur Rhiannon nannte und „gänzlich unkooperativ“ war, ganz abgesehen davon, dass sie „in einem fort Beschimpfungen und Beleidigungen von sich gab“. Mit ihren letzten Versuchen im Hinterkopf nahmen sie ihr weniger Blut ab und ließen ihr so zu viel Kraft, als dass sie imstande gewesen wären, sie zu bändigen. Als Daniel nach einigen Stunden voller „Versuche und Experimente“ ins Labor zurückkehrte, fand er seinen Partner tot, mit gebrochenem Genick. Die Gitter waren von dem Fenster fortgerissen worden, und die „Testperson“ war verschwunden.
Tamara verspürte den Drang, die geheimnisvolle Rhiannon zu bejubeln. Und sie wollte um den Mann weinen, der Daniel einst gewesen war. Ein Monster, genau wie er ihr gesagt hatte. Bis zu diesem Moment war ihr nicht klar gewesen, wie zutreffend seine Einschätzung von sich selbst gewesen war.
Sie widerstand dem Verlangen, von hier zu verschwinden, denn ganz gleich, wie fürchterlich die Aufzeichnungen waren, die sie fand, sie musste die Akten weiter durchsehen, wenn sie einen Hinweis darauf finden wollte, wohin man Jamey gebracht hatte. Sie hoffte bei Gott, dass es einen solchen Hinweis gab. Allmählich kam ihr der Gedanke, dass dies ihre letzte Chance war. In ihrer Magengrube machte sich die schreckliche Gewissheit breit, dass, falls sie Jamey
Weitere Kostenlose Bücher