Fantastik AG
wirklich.«
Theodor beäugte die Flöte kritisch.
»Irgendwie stimmt da was nicht mit der Dingens ⦠der ⦠na, der â¦
Intonation.«
»Jetzt wird es langsam lächerlich.«
»Ãberprüfen Sie es doch selbst«, sagte Theodor und reichte Sybras
die Flöte.
Der versteinerte Komponist maà ihn mit einem nachdenklichen Blick,
dann nahm er das Instrument würdevoll entgegen.
»Nun denn. Hören wir uns die Intonation einmal an«, sagte er und
setzte die Flöte an die Lippen.
Sogar die Ãberwacher blieben wie angewurzelt stehen, als er zu
spielen begann.
Es war eine ironische Variation über âºDer Regenwurm ist an beiden
Enden dünn â¦â¹, aber auf eine so raffinierte Weise neu arrangiert, dass das
unscheinbare Kinderlied kaum noch zu erkennen war.
Gebannt lauschten alle der meisterhaften Darbietung.
Rastlos huschten die steinernen Finger des Komponisten über die
Flöte, nahmen die Melodie auseinander und setzten sie zu einem Opus von
monumentaler Magnifizenz wieder zusammen, verwandelten den Regenwurm, der
bekanntermaÃen an beiden Enden dünn ist, in einen mächtigen geflügelten
Drachen, auf dessen silbernem Schuppenpanzer das Sonnenlicht glänzte, als er
pfeilschnell die Lüfte durchschnitt.
Sybras endete mit einem Triller auf der höchsten Note, der in einem
rasanten chromatischen Lauf zum tiefsten Ton hinabstieg.
Ehrfürchtige Stille folgte.
»Ich denke, das beweist hinreichend, dass mit dem Instrument soweit
alles in Ordnung ist«, sagte Sybras. Er hielt dem Studenten die Flöte hin.
»Wenn du dich berufen fühlst, es noch mal zu versuchen â¦Â«
Theodor grinste.
»Danke, aber das wird nicht nötig sein«, entgegnete er und zeigte
auf etwas, das sich hinter der Statue befand.
Sybras drehte sich um â das Tor stand offen. Es hatte sich langsam
geöffnet, während der Komponist seine geniale Neuinterpretation von âºDer
Regenwurm â¦â¹ erklingen lieÃ.
»Schon mal was von âºHänsel und Gretelâ¹ gehört?«, fragte der
Student triumphierend.
Er nahm Leutnant Daumenschraubes Hand â die Koboldin war von der
wundersamen Musik noch ganz gebannt â und eilte mit ihr durch das Tor, das
schallend hinter ihnen zufiel.
»Angewandtes Wissen!«, lobte Theodor sich selbst. »Wenn der
Professor das hätte sehen können!«
»Ja, das war gar nicht so dumm.« Leutnant Daumenschraube lächelte
anerkennend. »Wie war noch gleich dein Vorname?«
»Theodor«, sagte Theodor. »Und deiner?«
»Mercedes«, sagte die Koboldin (sie sprach es spanisch aus, das c
als th). »Ist es in Ordnung, wenn ich dich der Kürze halber Theo nenne?«
»Geht in Ordnung«, antwortete der Student errötend und dachte:
âºMercedes Daumenschraube. Was für ein schöner Name.â¹
Nun, dachte Sybras, gönnen wir dem jungen Mann den
Triumph.
Selbstverständlich hatte der Komponist den mehr als plumpen Trick
sofort durchschaut, aber er hatte nach dem grässlichen Gepfusche des Studenten unbedingt etwas echte Musik
gebraucht, und auÃerdem waren ihm die beiden nicht unsympathisch gewesen.
Sympathischer jedenfalls als die Schattengestalten, die sich jetzt
seinem Tor näherten.
»Wählt eure Instrumente!«, befahl er gebieterisch.
Der vorderste Ãberwacher blieb stehen.
»Ãhm«, hauchte er unsicher.
»Jetzt mal im Ernst«, sagte Sybras. »Proben hier unten zufällig
gerade die Sternheimer Ãhm-Symphoniker? Die Aufführung des Ãhmten Konzertes
für Solo-Ãhm und Orchester des groÃen Komponisten Lodevig van Ãhm?«
Sybras Labyrinth war eine
visionäre kompositorische Fusion von Architektur und Musik (was schwer zu
beschreiben ist: man müsste es erleben). Weitere musikalische
Prüfungsaufgaben standen, sehr zur Erleichterung des Studenten, nicht an.
Probleme ergaben sich erst, als sie an ein weiteres Tor gelangten.
Um genau zu sein, war das eigentliche Problem nicht das Tor selbst
(es stand offen), sondern der drei Meter groÃe, offenbar aus massiver Bronze
bestehende Minotaurus davor.
Er trat ihnen mit tonnenschweren Schritten entgegen, schwang
eindrucksvoll seine gewaltige Streitaxt und verkündete mit dröhnendem Bass:
»Halt! Hier beginnt das Labyrinth Laurentius des Klassischen. So
ihr Eintritt begehrt, müsst ihr zuerst den Hüter des Tores im
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