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Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten.

Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten.

Titel: Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Janus
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reichen Eltern gebrochen. Dafür konnten wir endlich umso mehr unsere Liebe verschwenden, Tag und Nacht. Und es war keine Frage, dass wir einander wie von jeher absolut treu blieben. Wir hatten uns so lieb, so lieb.
    Und nun, fünf Jahre später – wir waren dreiundzwanzig und hatten uns immer noch so lieb, so lieb – , sollten wir uns für ein halbes Jahr trennen? Alle Welt (bis auf meine Eltern) betrachtete uns inzwischen gerührt als das hübsche, romantische Liebespaar von nebenan: den blonden, etwas aufbrausenden Erik und den dunkelhaarigen, stilleren Wanja. Von daher gab es keinen Zwang mehr. Wir mussten uns aus ganz praktischen, profanen Gründen trennen.
    »Du weißt, Erik, dass ich die Zeichen auf den Dächern in Apulien selbst sehen und erfassen muss, sonst ist es doch keine wissenschaftliche Arbeit«, sagte Wanja zum hundertsten Mal.
    »Ja … und du weißt, dass ich jeden Tag im Archiv sitzen und die nicht ausleihbaren Originalmanuskripte der Brüder Grimm durcharbeiten muss, weil es sonst auch keine wissenschaftliche Arbeit ist«, stimmte ich seufzend zu.
    »Dafür sind wir dann bald fertig mit den Prüfungsarbeiten und überhaupt mit dem Studium.«
    »Und haben endlich mehr Geld.«
    »Vielleicht! Hoffentlich!«
    So trösteten wir uns gegenseitig.
    »Lies mir noch einmal unser Märchen vor«, bat ich leise.
    Wanja las mit verzweifelt um Festigkeit bemühter Stimme: » Traurig sprach Cannolora eines Tages zu Emilio: ‘Herzbruder, es ist besser, ich gehe eine Zeitlang fort und suche mein Glück fern vom Königshof!’ – ‘Das wirst du mir nicht antun!’, rief Emilio erschrocken. ‘Du kannst mich doch nicht verlassen! Niemals waren wir auch nur einen Tag, eine Stunde getrennt!’ – ‘Glaube mir, es ist besser so’, beruhigte ihn Cannolora. ‘Sieh, ich lasse dir ein Andenken zurück, das dich stets an mich gemahnen wird.’ Er stieß sein Jagdmesser in die Erde, und ein Strahl kristallklaren Wassers sprang aus dem Boden. Darauf pflückte er einen Myrtenzweig und pflanzte ihn neben dem Springquell ein. Sofort schlug er Wurzel und wurde ein blühender Myrtenstrauch .« Wanja stockte. »Lies du jetzt weiter«, flüsterte er.
    Ich nahm mein eigenes Büchlein und setzte die Geschichte mannhaft fort: »‘Was treibst du für Zauberkünste?’, staunte Emilio. Cannolora schüttelte traurig den Kopf. ‘Ich kann nicht zaubern’, sagte er. ‘Nur meine große Liebe zu dir gibt mir in der Abschiedsstunde die Kraft, dein Gedenken an mich durch solche Zeichen zu binden. Verdorrt die Myrte, versiegt der Quell, so bin ich tot oder in großer Gefahr.’ – Sie fielen sich in die Arme und küssten sich. Dann bestieg Cannolora sein Pferd und ritt davon über das blühende Land hin, weiter und immer weiter . – Ich höre lieber auf jetzt!« Ich musste mir die Augen wischen.
    »Unser Amor wird mich vertreten!«, sagte Wanja plötzlich, hob den kleinen Kater vom Fensterbrett und legte ihn mir in den nackten Schoß. Ich spürte das warme, weiche Fell auf der Haut. »Solange es Amor gut geht, geht es mir auch gut«, ergänzte Wanja, und dabei lächelte er, soweit er überhaupt noch lächeln konnte an diesem Tag.
     
    ***
    Das traditionelle Telefonieren war verdammt teuer, vor allem wegen der endlosen Liebesschwüre. In dem abgelegenen Dorf, in das es Wanja verschlagen hatte, gab es weder Internet noch Mobilfunknetz. Wir waren auf den guten, alten Brief angewiesen, doch die Schneckenpostkutsche von und nach Süditalien ging unglaublich langsam.
    Wenn ich aus meinen eingestaubten Gebrüder-Grimm-Papieren auftauchte, das Archiv verließ und zu Hause endlich den Briefkasten öffnete, suchte ich zwischen Rechnungen und Drohschreiben der Stipendiumsstelle  ungeduldig nach Wanjas Briefen. Fand ich einen, riss ich ihn auf und küsste das Papier schon im Treppenhaus leidenschaftlich.
    »Liebster Emilio«, las ich zum Beispiel und lächelte dabei, »es ist jetzt abends, schon sehr spät, und wie immer schrecklich einsam ohne dich! Ich kann bald keine Trulli-Dächer mehr sehen! Der Satan muss mir dieses Thema für meine Arbeit aufgedrückt haben! Trotzdem mache ich weiter ... du weißt ja ... Heute habe ich wieder mit den Kindern hier gespielt. Dafür hat mir Sofia, die Frau meines Wirtes, geholfen, meine Notizen und Zeichnungen zu ordnen. Ich bin immer ein bisschen schlampig, wenn du nicht da bist. Ach, Erik, bist du steif, wenn du meinen Brief liest?« – Ja!, dachte ich und seufzte. »Mir steht er dauernd! Es ist

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