Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten.
Trulli-Ort für Touristen, um noch Ursprüngliches zu bieten, aber nahe genug am Städtchen Putignano, um nicht in der Wildnis unterzugehen. Ich kannte den Weg durch das Dörfchen, denn mein Herzbruder hatte in seinen Briefen alles genau aufgezeichnet, um mich an jedem seiner Schritte teilhaben zu lassen. Nun stand ich mit unruhig klopfendem Herzen tatsächlich vor dem mittelalterlich anmutenden Rundhausgehöft, dessen überkragende, kegelförmige Dächer aus grauen Feldsteinplatten gefügt und mit geheimnisvollen, weißen Zeichen verziert waren – Zeichen, deren Ursprung aus heidnischer Magie oder christlichem Glauben im Ungewissen lag.
Eine uralte Frau saß vor dem Haus auf einem einfachen Holzstuhl. Ihre braune, faltige Haut wirkte stumpf im Licht der Abendsonne. Ich versuchte Worte zu finden, redete deutsch, englisch und sehr wenig italienisch gemischt. Die Alte nickte unaufhörlich mit dem Kopf, mehr jedoch tat sie nicht.
»Buona sera!«, hörte ich unvermutet eine Männerstimme. Ein kräftig wirkender, vielleicht dreißigjähriger Apulier war aus der Rundbogentür des größten Trullos getreten. Ich versuchte erneut, mich verständlich zu machen.
»Du suchst Freund, Wanja?«, fragte der Apulier. Ich erinnerte mich von Wanjas Briefen her, dass der Hausherr etwas Deutsch konnte.
Plötzlich tobten die Kinder aus den Trulli: vier Jungen und ein kleines Mädchen, das noch auf allen Vieren krabbelte. Eine ältere Frau kam dazu, die den kräftigen Mann Tonio nannte und von ihm mit »Mamma« angeredet wurde. Zum Schluss, scheu und mit großen, schreckhaften Augen, zeigte sich eine mädchenhafte, junge Frau, die wiederum von den Kindern »Mamma« genannt wurde. Alle redeten gleichzeitig auf Italienisch. Ich begriff kein Wort.
»Prego! Bitte! Komm herein!«, forderte Tonio mich auf.
»Danke! Ich bin ganz kurz entschlossen hergekommen, um Wanja zu besuchen. Er weiß gar nichts davon. Wir studieren in Deutschland zusammen.« Ich war verlegen und wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Mein Vater war lange in Deutschland«, sagte Tonio mit einem gewissen Stolz auf seine Sprachkenntnisse. »Hat gearbeitet dort, bei große Autofabrik. Ich bin geboren in Deutschland!«
Ich war ungeduldig.
»Wo ist Wanja? Ist er noch unterwegs?«
Erneut erhob sich bei dem Namen Wanja ein vielstimmiges Palavern, bis Tonio mit einer patriarchalischen Geste Schweigen gebot.
»Wanja ist nicht da. Gestern früh er ist weg und noch nicht wiedergekommen«, erklärte er.
»Nicht … nicht wiedergekommen?«, stammelte ich. »Seit gestern früh? Aber wohin ist er gegangen?«
»Mi dispiace, non lo so! Ich weiß nicht!« Tonio hob die Schultern bedauernd.
»Dann muss ich ihn suchen! Kannst du mir nicht helfen? Wo könnte er denn sein?« Meine Hände zitterten, unwillkürlich strich ich mir übers Haar.
»Vielleicht er wollte nach Putignano, telefonieren, oder einkaufen. Vielleicht es ist später geworden und er hat übernachtet da.«
»Aber dann wäre er doch heute längst wieder hier!«, warf ich ein. »Ich muss ihn unbedingt suchen!«
»Wo willst du suchen?«, fragte Tonio heftig. »Keiner weiß, wohin! Vielleicht er hat Freundin in Putignano! Morgen bestimmt er ist wieder hier.«
Freundin in Putignano? Der Mann war nicht gescheit! Ein Freund in Putignano … verdorrt die Myrte, versiegt der Quell … nein, das würde mein Cannolora nicht tun, niemals!
»Dann gehe ich zur Polizei«, brachte ich mühsam heraus. »Carabinieri! Polizia!«
»Bene, bene!«, gab Tonio begütigend zurück. »Gut, ich suche mit dir. Gehen wir Richtung Putignano. Er ist zu Fuß gegangen. Ging immer zu Fuß überall hin. Aber es ist bald dunkel. – Sofia!« , herrschte er die junge Frau an und überschüttete sie mit italienisch gesprochenen, barschen Anweisungen.
Sofia winkte, dass ich ihr zu einem Schuppen folgen sollte. Dort gab sie mir eine Petroleumlampe und zwei Schachteln Streichhölzer.
»Attenzione, Signor! Attenzione!«, flüsterte sie dabei wie beschwörend.
***
Tonio stapfte über die kahle Karstlandschaft, wortkarg und offensichtlich missgelaunt. Ich ging neben ihm in ohnmächtiger Angst um meinen Herzbruder.
Nach einer guten Stunde erreichten wir ganz überraschend einen kleinen Eichenwald, ohne bis dahin auf irgendeinen Anhaltspunkt gestoßen zu sein.
»Hier er hat gerastet, vielleicht«, meinte Tonio und winkte mir, ihm in den Wald hinein zu folgen.
»Zünden wir die Lampe an«, schlug ich vor, denn die Sonne war gerade
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