Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten.
auf jeden Laut. Da hörte er deutlich Emilios Stimme. Könnte er nur den Pflegebruder warnen vor der Schlange mit dem gelben Horn! Aber keine Stimme aus der Tiefe vermochte das Brausen des Wasserfalls zu übertönen. Bebend wartete Cannolora auf den Augenblick, da sich die Felsplatte heben und Emilio herabgeschleudert würde. Statt dessen zischte ein Pfeilschuss und noch einer, und ein fürchterliches Wutgeheul ertönte. – ‘Emilio! Emilio!’, schallte Cannoloras Stimme. Er stemmte die Schulter gegen die Steinplatte, sie hob sich wie durch ein Wunder. Die beiden schönen Jünglinge lagen sich in den Armen. – ‘Du lebst!’, jauchzte Emilio. – ‘Du hast mich aus großer Qual erlöst, Herzbruder’, antwortete Cannolora. ‘Sage, wie kamst du – ’ «
»Vielleicht war ich selbst schuld an allem«, unterbrach Wanja mich unvermittelt.
»Wie kommst du denn darauf?«, erwiderte ich erstaunt.
»Tonio war immer sehr anständig und nett zu mir. Er ist eigentlich – ja, ich glaube, er ist da wirklich nur hineingeraten, weil er selbst Angst hatte. Das Leben in so einem Dorf – da kann sich keiner als schwul outen. Vielleicht hatte er nur Sehnsucht nach etwas, das er niemals erreichen konnte. Das Zeichen auf seinem Dach – ich hatte gerade herausbekommen, was es bedeutet: Es ist das Symbol für ‘Harmonie’, für ‘glückliches Zusammenleben’, eine der ältesten überhaupt von allen Trulli-Zeichnungen. Weißt du, wir haben öfter zusammengesessen, er und ich, abends, einen Becher Wein getrunken und geredet. Ich konnte nicht anders, ich habe ihm von dir erzählt, von unserem Glück. Ich musste einfach darüber sprechen, sonst wäre ich total in Depressionen versunken in dieser langen Zeit ohne dich. Er hat sich das immer angehört, hat nie eine abfällige Bemerkung darüber gemacht. Aber es hat ihn sicher aufgeheizt, und ich Kamel habe es nicht einmal gemerkt. Wie heißt es in unserem Text? Er war nur auf das Herz bedacht und ließ die Eingeweide unbeachtet liegen , so ähnlich, nicht? Die Eingeweide! Die haben einfach Befriedigung gefordert.«
»Tonio ist in der Hinsicht vielleicht wirklich ein armer Kerl, doch das ist kein Grund, uns beide umzubringen«, versetzte ich. »Und du bist kein Kamel, sondern einfach nur zu gut für diese Welt. Ich muss viel besser auf dich aufpassen. Wie geht es dir jetzt – Cannolora?«, fragte ich sehr zärtlich.
»Ich bin glücklich«, antwortete Wanja und wandte mir sein übernächtigtes, von Ruß und Erde verschmiertes Gesicht zu. Es war von den Ängsten und Strapazen der letzten beiden Tage gezeichnet. »Glücklich, dass wir nach Hause fahren. Und vor allem, dass du gekommen bist und mich gerettet hast. Wie konntest du überhaupt wissen, dass ich dich so dringend brauchte? Wie kamst du darauf, ausgerechnet an dem Tag hierher zu kommen? War das Zufall?«
»Zufall? Ich weiß nicht. Amor ist vorgestern überraschend krank geworden.«
Wanja starrte mich an. »Amor? Ach ... was hatte er?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn zu deiner Mutter gebracht und bin jedenfalls gleich gestern früh nach Rom geflogen und –«
»Ich will Mutter anrufen!«, sagte Wanja plötzlich. »Jetzt sofort!«
Wir stürzten zu einer Telefonzelle im Bahnhofsgebäude. Nach mehrmaligen Münzeinwurfsversuchen bekamen wir tatsächlich eine Verbindung nach Deutschland.
Kein Wort verriet Wanja von seinen Qualen.
»Wie geht es dem Amor?«, fragte er seine Mutter nach den üblichen Begrüßungssätzen.
»Gutt, ganz gutt seit heute Nacht. Ist ganz munterr wie früher.«
Wanja wechselte einen Blick mit mir, während ich ein Ohr mit an den Hörer hielt.
»Ich komme nach Hause, Mamuschka, zusammen mit Erik. Heute oder morgen.«
»Biist du verrückt, Junge! Seid ihr beide iimer noch wie Kinder! Wie früher! Iimer beide in eine Bett! Was ist mit deine Arrbeit?«
»Das wird schon irgendwie gehen. Bis bald, Mamuschka!« Wanja hängte den Hörer ein.
Nach einem kurzen Schweigen, bei dem wir uns in die Augen sahen, fragte er mich: »Wie geht es weiter? Kannst du’s auswendig?«
»Ja, ich glaube! Es geht so weiter: ‘Sage, wie kamst du hierher?’ – ‘Nachdem du fortgeritten warst, ging ich täglich zum Springquell, zum Myrtenstrauch. Wie groß war mein Schreck, als ich eines Morgens den Quell versiegt, die Myrte verdorrt fand! Ich sattelte mein Pferd, denn ich sagte mir: Cannolora hat Unheil getroffen, ich muss ihn suchen gehen, sonst findet mein Herz nun und nimmermehr Ruhe. – Im Dornenwald traf
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