Farben der Liebe
zu werden und mich einigermaßen in der Öffentlichkeit sehenlassen zu können. Ich bewege mich nur so viel, wie nötig ist, um nicht allein zu sein. Ich lege keinen Wert auf besondere Klamotten, aber ich will auch nicht wie ein Lumpensammler herumlaufen. Ich lerne nur so viel, dass ich meinen Notendurchschnitt halten kann. Okay, in diesem Fall bin ich von Mutter Natur ein wenig begünstigt. Ich muss im Grunde nicht lernen. Das meiste nistet sich ganz von allein in meinem Kopf ein und liegt dort zur Weiterverarbeitung bereit. Ich kann logische Zusammenhänge problemlos erkennen … Nur diese Sache hier, die habe ich nicht erkannt, sonst würde ich mich nicht wie ein scheißverliebter Teenager benehmen.
Ich begreife nicht, wie es mich so erwischen konnte. Mein Prinzip der minimalen Bewegungen ist deutlich ins Wanken geraten, seitdem er da ist. Vermutlich habe ich längst erste Formen eines Stalkers angenommen, denn noch nie habe ich so oft den Müll, das Altpapier oder die gelben Säcke herausgebracht, wie in den letzten Wochen. Nur weil ich sein Auto in der Auffahrt gehört habe und hoffte, einen Blick auf ihn werfen zu können.
Ich mähe den Rasen freiwillig, habe sogar angefangen, den Zaun zu streichen, weil er nebenan auf seiner Terrasse saß. Ich habe ihn die ganze Zeit angestarrt, habe seinen Körper bewundert und gehofft, dass er wenigstens einmal zu mir herüber guckt. Das hat er dann auch getan und ich habe vor Schreck den Eimer mit der Farbe umgekippt und bin anschließend kopflos ins Haus geflüchtet. Ich konnte sein Grinsen im Rücken spüren. Eigentlich dachte ich, dass mir die Blamage reichen würde, aber ganz offensichtlich habe ich diese masochistische Ader in mir und kann von extrem peinlichen Situationen nicht genug bekommen. Immerhin grüßt er mich seitdem und ich bilde mir ein, dass er mich schon das ein oder andere Mal genauer betrachtet hat.
„Mist“, fluche ich, weil ich mich an einer Nadel gestochen habe. Die Stecknadeln fallen mir aus dem Mund und verteilen sich auf dem Fußboden.
„Fuck!“
Ich schiebe den Tisch ein Stück von mir weg und erhebe mich vorsichtig. Es würde mich nicht wundern, wenn ich gleich eine der Nadeln in meinem Fuß stecken habe. Was muss ich auch barfuß herumlaufen?
„Alles in Ordnung, Felix?“, fragt meine Mutter und steckt den Kopf durch die Tür. Anklopfen und Tür öffnen bilden bei ihr eine Einheit, sodass ich niemals die Chance auf ein Herein oder Warte kurz habe. Damit könnte sie sich im Prinzip das Klopfen auch sparen.
Ich sehe zur Tür und brumme ungehalten. Meine Mutter sieht mich sorgenvoll an, dann aber fängt sie an zu grinsen und kommt ins Zimmer.
„Was machst du denn?“, will sie fröhlich und neugierig zugleich wissen.
„Nähen?“, nuschle ich und suche den Boden weiter nach den Nadeln ab. „Aktuell suche ich allerdings die heruntergefallenen Stecknadeln. Also pass auf, wo du hintrittst.“
„Dann sieh zu, dass du alle findest. Die können äußerst schmerzvoll im Fuß stecken“, erwidert sie und ich muss nicht aufsehen, um zu wissen, dass sie immer noch grinst.
„Danke für den tollen Ratschlag!“
Ich sehe mich noch einmal gründlich um, betrachte die Anzahl der kleinen bunten Köpfe in meiner Hand und hoffe, ich habe sie wirklich alle gefunden. Auf jeden Fall erhebe ich mich und lege die Nadeln zurück in das kleine Kästchen, während meine Mutter den zukünftigen Kopf in der Hand hält und ihn und mich abwechselnd mustert.
„Du nähst? Das hast du ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht“, stellt sie erstaunt fest und sieht mich fragend an.
Sie hat Recht. Als ich ungefähr zehn war, war ich ganz scharf darauf, zu nähen. Keine Ahnung, wieso. Aber ich wollte Kissen nähen. In der Grundschule gab es diese Arbeitsgemeinschaft „Nähen“, aber natürlich war sie in erster Linie für Mädchen. Die Lehrerin hat mich so merkwürdig angesehen, als ich gefragt habe, ob ich auch nähen dürfte, dass ich froh war, dass die AG schon überfüllt war. Dafür habe ich meine Mutter so lange genervt, bis sie ihre Nähmaschine herausgeholt hat, dazu noch Berge von Stoffresten und dann war ich kaum noch zu halten. Ich nähte Kissen in allen Größen. Vier gerade Nähte, wobei man am Schluss noch ein kleines Loch lassen muss, um den Stoff umzudrehen und die Füllwatte hineinzustopfen. Meine Mutter wollte, dass ich das Loch mit der Hand verschließe, aber diesen blöden Matratzenstich habe ich einfach nicht hinbekommen. Bis heute
Weitere Kostenlose Bücher