Farben der Liebe
habe ich keine Ahnung davon, wie das mit dieser unsichtbaren Naht funktioniert. Letztendlich wollte ich einfach nur Kissen nähen, und zwar mit der Nähmaschine! Also habe ich auch die Öffnung Ruck zuck zugenäht. Die meisten habe ich meiner Oma geschenkt, denn sie hat sich immer ganz besonders darüber gefreut und es gleich in der ganzen Nachbarschaft herumerzählt.
Ich weiß nicht, wie lange ich Kissen genäht habe … vielleicht ein halbes Jahr und dann hatte ich die Lust verloren. Meine Mutter wollte mir zeigen, wie man andere Sachen näht, kleine Beutel oder solche runden Sportsäcke, aber daran hatte ich kein Interesse. Ich kann mich nur noch an ein einziges Mal erinnern, da war ich vielleicht 14. Meine Mutter wollte mein Lieblingshemd wegwerfen, weil es zu klein und obendrein noch löchrig war. Ich habe es aus dem Altkleidersack herausgeholt und versucht es mit Hilfe der Nähmaschine irgendwie wieder brauchbar zu machen. Leider scheiterte mein Versuch, ganz im Gegenteil, es sah furchtbar verunstaltet aus. Diesem Hemd war nicht mehr zu helfen, nichtsdestotrotz … liegt es als Kissen auf meinem Bett.
„Also?“, fragt sie und sieht mich auffordernd an.
„Ich nähe … na und? Hatte Lust dazu“, brumme ich und nehme ihr den Kopf aus der Hand und betrachte ihn. Das Nähen kommt mir vergleichsweise leicht vor, wie ich ein Gesicht hinbekommen soll, ist mir noch immer ein Rätsel.
„Okay“, sagt sie lachend. „Brauchst du Hilfe?“
Es sind Momente wie diese, wo mir bewusst wird, wie sehr ich sie liebe. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mich jemals bedrängt hätte, mich mit Fragen gelöchert oder mich absichtlich in unangenehme Situationen gebracht hätte. Und trotzdem weiß ich, dass sie für mich da ist und das sie …
„Kannst du ein Gesicht sticken?“, frage ich leise und beiße mir nervös auf die Unterlippe.
„Hast du eine Vorlage?“
Ich nicke und zeige ihr den Computerausdruck, auf dem in allen Einzelheiten das Gesicht erklärt ist.
„Das müsste zu machen sein“, sagt sie nach einer Weile. „Sag Bescheid, wenn du so weit bist, oder soll ich gleich loslegen?“
„Ich glaube, da muss erst die Watte rein.“
„Ein blauer Teddy?“
„Ja“
„Für jemanden, der blau ganz besonders mag?“
„Ja“
„Weil du ihn ganz besonders magst?“
„Ja“, wispere ich und starre aus dem Fenster. Mein Herz schlägt hart in meiner Brust. Ich hoffe, sie fängt nicht an zu lachen und sagt mir, wie idiotisch das ist.
„Das ist eine großartige Idee“, flüstert sie gegen meine Schulter und schlingt die Hände von hinten um meinen Bauch.
„Mama“, knurre ich und winde mich halbherzig aus ihrer Umarmung. Eigentlich mag ich die Nähe zu ihr immer noch sehr, aber auf der anderen Seite will ich nicht wie ein Kind behandelt werden, will, dass sie erkennt, dass sie einen erwachsenen Sohn hat. Nicht nur, weil sie mir nicht mehr ohne Weiteres etwas ins Ohr flüstern kann.
Trotzdem lässt sie mich nicht komplett los. Ich spüre ihre Hände an meiner Hüfte und ihren Kopf an meiner Schulter.
„Papa kommt heute erst spät, wenn du was essen willst, wirst du dir wohl eine Schnitte machen müssen. Kommt Sebastian noch vorbei?“
„Hab keinen Hunger“, murmle ich.
„Du bist so dünn“, brummt sie und fummelt an mir herum.
„Mama!“, knurre ich und entziehe mich nun doch.
Sie lacht und geht zur Tür.
„Wenn du so weit bist … mit dem Kopf, dann bring ihn mir runter. Und wenn du … also … du weißt ja, oder?“
„Ja, Mama und nun muss ich wirklich weitermachen. Sonst werde ich nie fertig“, komplementiere ich sie aus meinem Zimmer und lehne mich gegen die geschlossene Tür.
„Was ist denn mit Sebastian?“, ruft sie von draußen.
„Keine Ahnung! Wenn er da ist …“
„… ist er da“, vervollständigt sie meinen Satz und lacht erneut.
Sebastian mein bester Freund und unberechenbar. Er kündigt sich nicht an, hasst Verabredungen und setzt auf absolute Spontanität. Er bringt es fertig, nachts um zwei Steine an mein Fenster zu werfen, einfach nur, weil er nicht schlafen kann und unterhalten werden will und dann sitzt er da und schweigt, ignoriert, dass meine Augen von allein zufallen. Am Ende schlafen wir beide ein. Er hat kein Problem mit meiner Nähe, obwohl er ausschließlich auf Frauen steht. Vermutlich kennen wir uns schon viel zu lange, haben schon als Babys hier im Garten in so einem winzig kleinen roten Planschbecken gesessen. Wir sind wie Brüder mit
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